Das urbane Fahrradmagazin

Hamburg belohnt Radfahrende Teil #1: Wenn sich das Rad an der Elbe dreht.

Hamburg macht mobil. Fahrrad mobil! In einer dreiteiligen Interview-Serie gewähren die Stadt Hamburg, der ADFC und die Bike Citizens selbst informative und persönliche Einblicke in die gemeinsame Bike Benefit Kampagne und die große Fahrrad-Vision für Hamburg.

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Als Orientierungs-Chaotikerin mit Leidenschaft zum Radfahren entwickelte sich die Bike Citizens App für Elisabeth schnell zum treuen Wegbegleiter in Berlin. Seit nunmehr zwei Jahren ist sie Teil des Bike Citizens Team in Graz und bastelt selbst als Head of Communications an den neuen Ideen und Projekten mit.
An Alster und Elbe dreht sich das Rad © Stadt Hamburg

Teil #1: Bike Citizens im Gespräch mit Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue

 

Hamburg ist in Bewegung: Klare Ziele, viele Maßnahmen und ein Team, das an einem Strang zieht. Ermöglicht wird dies durch das Bündnis für den Radverkehr, welches die Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue auf den Weg gebracht hat. Gemeinsam mit Bike Citizens und Hamburg Marketing hat sie auch das Bike Benefit Programm Hamburg als Fahrrad-Motivationskampagne über drei Monate in Hamburg umgesetzt.

Bike Citizens: Frau Pfaue, Sie sind seit drei Jahren als Radverkehrskoordinatorin der Stadt Hamburg im Amt. Was waren bisher Ihre größten Erfolge? Worauf blicken Sie stolz zurück?
Kirsten Pfaue (KP): Als Radverkehrskoordinatorin mache ich Hamburg radfreundlicher. Meine zentrale Rolle ist, dass alle Akteure an einem Strang ziehen und das ist uns gelungen. Besonders stolz bin ich darauf, dass wir durch das 2016 geschlossene „Bündnis für den Radverkehr“ in den Bereichen Infrastruktur, Service und Kommunikation parallel tatkräftig und hamburgweit Maßnahmen für den Radverkehr umsetzen. Ein Beispiel: Allein beim Velorouten-Ausbau haben wir mehr als zehn Personen eingestellt und in zwei Jahren allein Bundesmittel in Höhe von rund 15 Millionen Euro für den Radverkehr eingesetzt. Dazu kommen noch Hamburger Mittel. Eine so intensive Radverkehrsförderung hat es in Hamburg noch nie gegeben!

 

Bis in die 2020er Jahre wollen Sie den Radverkehrsanteil auf 25 Prozent steigern. Sind Sie auf Kurs?
KP: Hamburg ist auf dem Weg! Velorouten und Radverkehrsanlagen werden ausgebaut und Machbarkeitsstudien für Radschnellwege sind beauftragt, damit die Pendler aus der Metropolregion schnell nach Hamburg radeln können. Wir bauen unser erfolgreiches StadtRAD-System aus (Anm. Bike Citizens: Hamburgs Fahrrad-Leihsystem in Kooperation mit der Deutsche Bahn Connect GmbH): Die bisher 230 Stationen mit 2.450 Rädern werden auf 350 Stationen mit 4.500 Rädern erweitert. In die Flotte werden erstmals auch Lastenräder mit elektrischer Unterstützung integriert – das ist bundesweit einmalig! Bis 2025 werden an U- und S-Bahnhöfen 28.000 Abstellplätze mit überdachten und gesicherten Plätzen und Schließfächern sowie Abstell- und Ladeanlagen für E-Bikes geschaffen. So verknüpfen wir den Radverkehr mit dem öffentlichen Nahverkehr. An vielen Stellen wird sichtbar, wie ernst wir die Förderung vorantreiben.

 

 Eine so intensive Radverkehrsförderung hat es in Hamburg noch nie gegeben!

 

Hamburg ist auf dem Weg! (…) An vielen Stellen wird sichtbar, wie ernst wir die Förderung vorantreiben.

Hamburg ist auf dem Weg!  © Stadt Hamburg

Wo soll die größte Mobilitäts-Verlagerung erfolgen? Vom Auto aufs Fahrrad oder vom Rad auf den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV)? Wo sehen Sie das größte Potential?
KP: Wir müssen weiter gute Angebote für den Radverkehr schaffen. Im Jahr 2002 lag der Radverkehrsanteil im Modal Split bei 9%. Im Jahr 2008 bei 12%. 2017 schon bei 15%. Gleichzeitig nahm auch der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs von 19% auf 22% zu.
Der Autoverkehrsanteil (MIV – Motorisierter Individualverkehr) sank von 47% auf 36%. Die Zahlen zeigen: Das Fahrrad hat im Hamburger Mobilitätsmix eine ganz wichtige und zentrale Bedeutung.

Unser Ziel ist, den Menschen Lust zu machen aufs Rad zu steigen. Der Radverkehr steht für Lebensqualität. Er sorgt für quirlige, lebendige Straßen. Das Fahrrad soll ein selbstverständlicher Teil des Stadtbildes werden! Darum wollen wir ein Angebot schaffen, bei dem das Fahrrad ein sehr attraktives Verkehrsmittel ist. Nur so kriegen wir Menschen aufs Rad! Aber natürlich spielen auch Bus und Bahn eine sehr wichtige Rolle – sozusagen die Lastesel der städtischen Mobilität.

 

Wie haben Sie das Bike Benefit Programm mit Bike Citizens in Hamburg wahrgenommen
KP: Ich bin ein großer Fan der Bike Benefit Kampagne Hamburg. Die ganze Familie hat mitgemacht. Meine Nichte und mein Bruder haben weitaus mehr Finneros gesammelt als ich. Mich persönlich begeistert der Gamification-Ansatz. Der spielerische Anreiz schafft ganz neue Möglichkeiten, um das Rad zu nutzen. Es ermöglicht jedem Radfahrenden eine ganz individuelle Challenge – das macht Spaß und das finde ich gut!

 

Können Kampagnen wie das Bike Benefit Programm eine Stadt dabei unterstützen, ambitionierte Zielsetzungen hinsichtlich Radverkehrsanteil im Modal Split zu erreichen?
KP: Unbedingt. Es ist zielführend auf mehrere Elemente gleichzeitig zu setzen, die sich gegenseitig unterstützen. Hamburg fokussiert sich auf drei Säulen: Infrastrukturausbau, Serviceausbau und Kommunikation. Digitale Lösungen können dabei eine gute Unterstützung sein. Weiß ich nicht, wo eine gute Fahrradroute lang führt, wird mir das Radfahren weniger Spaß machen und ich werde das Rad weniger nutzen. Dafür ist selbst in der eigenen Stadt ein Fahrrad-Navi, wie die Bike Citizens App, sehr hilfreich – Auch ich entdecke die Stadt immer wieder neu und bin überrascht welche Möglichkeiten es gibt und schöne Strecken, die ich noch nicht ausprobiert habe. Besonders hilfreich ist es, wenn man sich in dem ruhigeren Nebenstreckennetz nicht so gut auskennt oder in einen Bezirk radelt, der einem nicht so bekannt ist. Hier spielt uns die Digitalisierung in die Hand: Das Smartphone zeigt die optimale Mobilitätskette oder die beste Rad-Route.

Konnten Sie im Rahmen des Bike Benefit Programms erste Effekte und Veränderungen hinsichtlich der Radverkehrsintensität wahrnehmen? Wie war das Feedback in der Stadt zum Bike Benefit?
KP: Schauen wir uns die Zahlen an. Die Kampagne umfasste den kostenlosen Download der Hamburg Stadtkarte in der Bike Citizens (Navigation und Tracking) und das Bike Benefit Programm.

Allein die App wurde 10.000 Mal in nur fünf Monaten heruntergeladen und insgesamt wurden über 485.000 Kilometer erradelt. Das spiegelt die Begeisterung gut wider! Fast ein Viertel der App Nutzer nahm an dem Bike Benefit Programm teil. Rund 40 lokale Unternehmen aus dem Bereich Gastronomie, Handel und Kultur waren als Partnerunternehmen im Programm beteiligt und stellten Preise zur Verfügung. Darunter waren sehr viele hochwertige Preise bis hin zu einem Brompton Faltrad, als Hauptpreis. Gut angenommen wurde auch die Charity Aktion für Radfahr-Intensiv-Kurse.

App Downloads: 10.000                         

erradelte Kilometer:  485.000

Staatsrat Andreas Rieckhof mit Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue bei der Übergabe der im Bike Benefit Programm gesammelten Spende für Radfahr-Intensiv-Kurse an die Parksportinsel e.V.   Offizielle Pressemitteilung  Fotos: © BWVI Hamburg

Viele waren involviert und haben sich am Ende der Kampagne ihre persönliche Heatmap zusenden lassen. Das zeigt, wie stolz die Menschen darauf sind, welche Wege sie mit dem Rad zurückgelegt haben. Sie möchten ihren Puls auf dem Fahrrad in der Stadt sichtbar machen. Das bestätigt die Identifikation mit dem Thema Fahrrad und Stadt.

Heatmap Hamburg Bike Citizens Radverkehr

Die Heatmap Hamburg visualisiert den Radverkehr © Bike Citizens

Wie ist die Stimmung in Hamburg gerade? Spielen Ihnen die aktuellen Fahrverbote aufgrund von gesundheitsschädlichen Stickstoffbelastungen in die Hände? Ist das Fahrrad eine Chance gegen das Fahrverbot?
KP: Mehr Radverkehr reduziert Lärm, bringt bessere Luft und fördert die Gesundheit der Menschen. Das wissen die Menschen auch selbst. Das Motto lautet: Rauf aufs Rad und die Verkehrsförderung intensiv vorantreiben. Der Hamburger Senat zieht da mit!

 

Wird nun ganz Hamburg umgebaut um Fahrradstadt zu werden?
KP: Nein. Wir leben in einer eng bebauten Stadt und müssen die knappen Räume nehmen, wie wir sie draußen vorfinden. Aus meiner Sicht sind deshalbFahrradstraßen im Nebenstraßennetz die besten Radverkehrsführungen. Sie bieten Radfahrenden große Vorteile und sind gut zu integrieren. Wir setzen darauf, lange, zusammenhängende Netze anzubieten, wo die Radfahrenden zügig, komfortabel und sicher fahren können. Solche Velorouten bauen wir jetzt gerade.

 

Amsterdam und Kopenhagen haben es verschlafen, ausreichend solide Fahrradinfrastruktur in Form von sicheren, trockenen Fahrradabstellanlagen zur Verfügung zu stellen. Wie lernt Hamburg aus den Fehlern der weltweit berühmten Fahrradstädte?
KP: Aktuell bauen wir die Abstellanlagen an allen S- und U-Bahnhöfen stark aus und investieren rund 30 Mio EUR bis 2025. Auch sind Fahrradstationen an den Fernbahnhöfen in Planung. Räder brauchen einen hochwertigen, sicheren Stellplatz! Das ist auch wichtig fürs Stadtbild. Aus diesem Grund ist auch das städtische Leihradsystem stationsgebunden. So wird vermieden, dass Leihräder die schmalen Gehwege der Fußgänger zustellen.

 

Das Einzugsgebiet der Metropolregion ist enorm – die Region pendelt zum Arbeiten „in die Stadt“: Wie sieht der multimodale oder intermodale Masterplan rund ums Fahrrad aus?
KP: Radschnellwege sind gute Ansatzpunkte. Aktuell führen wir Machbarkeitsstudien für Radschnellwege aus der gesamten Metropolregion nach Hamburg durch und untersuchen sechs Korridore aus allen Himmelsrichtungen. Das Pendeln mit dem Rad in die Stadt muss einfacher und schneller werden! Auch für E-Bike-Fahrende brauchen wir gute Infrastruktur. Mit dem attraktiveren Angebot für Radfahrende wollen wir auch den Nahverkehr entlasten, der gerade in den Früh- und Abendstunden überlastet ist. Es gilt auch, an den Stationen gute Fahrradparkmöglichkeiten zu schaffen. Da die Zahl der HVV Nutzenden steigt, werden die Sperrzeiten für die Fahrradmitnahme nicht aufgehoben. Während der Sperrzeiten dürfen nur Falträder mit in die Öffis. Deshalb wollen wir andere gute Angebote schaffen wie funktionierende Mobilitätsketten und Radschnellwege für Pendlerinnen und Pendler.

Das Motto lautet: Rauf aufs Rad und die Verkehrsförderung intensiv vorantreiben. Der Hamburger Senat zieht da mit!

Wenn Sie als Radverkehrskoordinatorin in Hamburg tun und lassen könnten, was Sie wollten, was würden Sie als erstes machen?
KP: Alle Baufirmen nach Hamburg holen! Wir bekommen zunehmend das Problem, dass wir unsere Planungen nicht sichtbar machen können, da die Unternehmen keine Bauaufträge mehr annehmen können. Baufirmen und Planer – kommt nach Hamburg!

 

Die StadtRAD-Flotte soll 2019 um 20-60 Lastenräder aufgestockt werden. Damit gibt es erstmals familientaugliche Leihräder im Portfolio einer deutschen Großstadt. Was tut die Stadt sonst noch um Familien und Kinder anzusprechen?
KP: Ziel Hamburgs ist es, eine eigenständige Mobilität von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Möglichst viele Wege sollen zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem öffentlichen Nahverkehr zurückgelegt werden. Dies wird durch ganz vielfältige Maßnahmen erreicht – von der Quartiersentwicklung über Aktionstage zum sicheren Schulweg bis zur Ausweitung von Tempo 30 oder dem Bau regelkonformer Radinfrastruktur. Und natürlich sind deswegen auch die Leih-Lastenräder so konzipiert, dass man zwei Kinder mitnehmen kann.

Interview-Serie:

Wenn sich das Rad an der Elbe dreht

Teil #1: Kirsten Pfaue, Radverkehrskoordinatorin Hamburg
Teil #2: Johanna Drescher vom ADFC Hamburg (folgt)
Teil #3: Andreas Stückl, CEO Bike Citizens Germany (folgt)

Bike Benefit

Das Bike Benefit Programm ist ein digitales Belohnungssystem für Radfahrende. Dabei können sich die teilnehmenden Personen tolle Gutscheine und Rabatte von lokalen Unternehmen erradeln. Das Bike Benefit Programm ist in die Bike Citizens App eingebettet. Wer sich über die App registriert, kann für seine Radfahrten Finneros – eine virtuelle Währung – sammeln, und diese gegen reale Goodies tauschen oder für soziale Projekte spenden. Das spielerische Umfeld in dem Finneros erradelt werden macht Spaß und setzt Anreize, um mehr Menschen häufiger zum Radfahren in der Stadt zu motivieren.

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Als Orientierungs-Chaotikerin mit Leidenschaft zum Radfahren entwickelte sich die Bike Citizens App für Elisabeth schnell zum treuen Wegbegleiter in Berlin. Seit nunmehr zwei Jahren ist sie Teil des Bike Citizens Team in Graz und bastelt selbst als Head of Communications an den neuen Ideen und Projekten mit.
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