Bike Citizens Interview: Prof Dr. Stephan A Jansen von BICICLI und MOND
Stephan A. Jansen ist Professor für Urbane Innovation – Gesundheit, Mobilität, Digitalisierung – an der Universität der Künste Berlin, Koordinator des Digital Urban Centers for Aging & Health (DUCAH) und Co-Geschäftsführer der Gesellschaft für Urbane Mobilität BICICLI und deren Mobilitätsberatung MOND – Mobility New Designs – die mehrfach ausgezeichnet wurden u.a. vom Bundesverkehrsministerium. Bike Citizens hat ihn in Berlin zum Interview getroffen
Sie erwähnen mehrmals auf verschiedenen Kanälen, dass Sie sich als Teil der Mobilitätswende verstehen, insbesondere der ‘positiven Mobilitätswende’. Wie sehen Sie diese Mobilitätswende momentan in Berlin und bundesweit? Wie sehen Sie Ihre weitere Rolle in den nächsten fünf Jahren? Was würden Sie am liebsten beitragen, persönlich und als Unternehmen?
Als Martha und ich die Gesellschaft für Urbane Mobilität gründeten und manche in die dazugehörigen Concept Stores reinkamen, fragten sie vorsichtig: Kann man hier auch Fahrräder kaufen und warten?
Der Ausgangspunkt war aber tatsächlich als ein politisches Unternehmen, wie es auch der SPIEGEL in einem Portrait über BICICLI formulierte, eine positive Mobilitätswende zu ermöglichen. Und dazu bedarf es alles von Beratung bis Wartung. Konkret arbeiten wir mit MOND an wissenschaftlichen und oft Anrainer-basierten Mobilitäts- und Infrastrukturbedarfsanalysen, entwickeln dann mit allen Anspruchsgruppen Mobilitätskonzepte und setzen diese mit BICICLI Solutions in finanzierte und versicherte Komplettlösungen um und dann kommt unsere mobile Werkstatt und hält das in Ordnung!
Wir nennen das unser AKKU-Prinzip: Analyse, Konzeption, Kommunikation, Umsetzung.
Das Positive: Alle gewinnen – Lebensfreude, Platz (sogar die Autofahrer*innen), das Klima, die Gesundheitssysteme. Und wir können mit klugen Mobilitätsstationen Kosten, Komplexität und CO2 gemeinsam reduzieren. Das lieben sogar Fuhrpark-, Facility- und Quartiersmanager*innen durchgängig.

Foto © Bicicli
Wie wichtig ist Ihnen die Freude beim Fahren? Was macht Ihnen persönlich am meisten Spaß beim Fahren? Fahren Sie auch gerne in Berlin im innerstädtischen Bereich Rad? Wo macht es Ihnen am meisten Spaß zu fahren?
Ich bin nie BMW gefahren, habe aber Oldtimer besessen und nie wirklich gefahren, und das sind Autos natürlich generell im 21ten Jahrhundert: Oldtimer. Dinosaurer wurden auch grösser bis sie ausstarben. Aber es wird natürlich eine neue Form der Auto-Mobilität geben, nur sind das intelligente Waggon-Designs im öffentlichen Nahverkehr. Die Freude am Fahren muss auch dort einziehen.
Ich bin leider – generational nicht ganz abzustreiten – ein typischer Materialist, was Räder anbelangt: eine Storck-Zeitfahrmaschine gegen den Wind, ein Storck-Rennrad für den Flow der Rad-Marathons, ein Rondo-Titan Gravler für die Bike Packing-Reisen, ein Brompton-Titan für die ICE-Kundentermine in anderen Städten und ein Bullit Shorty für die Einkäufe. Die anderen Räder lasse ich mal weg… Und jedes ist so eine überlegte Freude. Lediglich die Luft macht mir wirklich zu schaffen, was auch daran liegt, dass die Auspüffe auf Lenkerhöhe hochgewandert sind.
Als Berater, Autor, Keynoter und Professor brauche ich das Radfahren auch deswegen, weil mir sonst nichts einfallen würde. Die Form der Meditation in Bewegung gibt die Antworten auf Fragen, die Du nicht hattest, Einfälle, deren Ursprung irgendwo zwischen Kleinhirn und Wade liegt.
Auch Fahrradtouren werden als Teil des Veranstaltungskataloges, welches Ihr Konzept-Store betreibt, erwähnt. Wo fahren Sie gerne als Gruppe hin?
Das haben wir die letzten Jahre gemacht – und die Touren gingen vom Tempelhofer Feld bis zum Havelradweg. Sternfahrten, Critital Mass. Alles dabei. Auch mit dem Team machen wir uns Strategietagungen im Fläming etc. Das tolle: Die Breite der Radkultur – vom Hollandrad, über die Carbon-Aero-Maschine bis zum Vintage Klapprad. Und wir wissen, wo wir aufeinander warten.
Was wir sonst machen sind Salons für Urbane Mobilität – ob mit dem ADAC, ADFC, dem TÜB, Deutsche Bahn, öffentlichen Nahverkehr, Wissenschaft, Politik usw. Spannende Erfahrungen als Angies nächster Fahrradladen direkt am S-Bahnhof Friedrichstrasse.
Wie sehen Sie momentan in Berlin die Verteilung vom öffentlichen Platz? Wie würde es Ihrer Meinung nach im Idealfall aussehen? Welche konkreten Vorschläge haben Sie für die Weiterentwicklung der Berliner Straßenlandschaft?
Wir forschen ja viel international und Berlin kann stolz sein, auch wenn wir international wirklich wirklich noch sehr weit hinten sind.
Bike Lanes sind in Italien, Spanien, Frankreich etc. deutlich schneller ausgebaut worden. In Deutschland ist Karlsruhe spannend, weil deren Strassenbahnbau eine neue Achtsamkeit für Räder erbrachte, denn mit dem Auto konnte man nicht mehr fahren. Die Friedrichstrasse so zu gestalten ist symbolisch, aber noch nicht der Wurf. Das Mobilitätsgesetz ist eine zivilgesellschaftliche Innovation gewesen, die Umsetzung in Hamburg, München und Düsseldorf ist aber durch spannender.
Städte wie Paris, London, Vilnius, selbst Brüssel haben solche Neuverteilungen von öffentlichem Raum in der Umsetzung, dass wir manchmal das selbst glauben können. Niederlande und Kopenhagen bekommen endlich mal richtige Beispiele, wie das gehen kann – und zwar radikaler als je gedacht.
Wir brauchen in Berlin das, was andere Städte auch gegen den Bund versuchen: 30 km/h Tempolimit, City Maut und Parkplatznachweis, bzw einen den ÖPNV refinanzierenden Anwohnerparkausweis.
„Berlin kann Radwege“ haben Sie 2019 im Video gesagt, auch mit Bezug auf das Mobilitätsgesetz. Jetzt sind im vergangenen Jahr einige Pop-Up Radwege entstanden, und gleichzeitig ist neulich eine Radfahrerin wegen einem geparkten Lieferwagen auf genau solch einem Radweg gestorben. Wie sehen Sie die Situation heute? Wie finden Sie die neuen Radwege? Und wie sehen Sie es mit der Kontrolle und Umsetzung dieser legalen Verordnungen bezüglich Radwegparken?
Berlin kann Radwege-Anforderungen in ein Gesetz schreiben. Bei der Umsetzung braucht es eben. Diese Unfälle sind tragisch und absolut auf Null zu reduzieren.
Die Forschung ist bezüglich Protected Bike Lanes noch nicht eindeutig, denn diese sind auch bei Baustellen und Lieferverkehren noch problematischer.
Es braucht tatsächlich für starke Pendlerrouten getrennte Velo-Routen oder Boulevards, wie Hamburg das zur Vermeidung der irreführenden Metapher „Fahrrad-Autobahnen“ nennt. Ein innerstädtisches Tempolimit hilft allen Studien zufolge, nur hier hilft das Bundesministerium eher nicht…
Die Strassenverkehrsordnung war handwerklich so schlecht gemacht wurde, dass es nun in der Verspätung auch gar nicht auffällt, dass die Abbiegeassistenzen, die Parkraumkontrolle und das alles einfach nicht kommt… Es fehlte eine Kommunikationskampagne, von der der Bund ja viele hat, aber hier rettet sie Leben, wenn Parkierende nicht Menschen gefährden sollen.
Was wünschen Sie sich in der Zukunft mit BICICLI zu erreichen?
Wir haben in den letzten Monaten soviel Auszeichnungen für unsere Arbeite und Kundenprojekte erhalten, die uns vor allem eines gezeigt haben: Unser Team macht einen zukunftsfähigen Job von Beratung bis Wartung. Mit Kunden von Flughäfen wie dem BER, grossen Immobilien- und Quartiersentwicklern und Wohnungsbaugesellschaften wie Gewobag, Quantum oder Bauwens oder auch Co-Working Anbietern wie Design Offices und Kommunen, die auf emissionsfreie Rad- und Mikromobiliät umstellen, wollen wir Vorbilder für die positive Mobilitätswende aufzeigen.
Wir wollen uns zukünftig noch weiter in Stadtteilentwicklungen engagieren, die nun beginnen – wir sind in Düsseldorf, München und Hamburg gerade im Beginn. Das sind die Hebel mit dem, was wir „Social Mobility Hubs“ nennen, also multimodale Mobilitäts-, Logistik-, Service-, Einkaufsstationen. Und das auch im ländlichen Raum, wo das wirklich eine wahnsinnige Wirkung haben wird.
Ich habe einen Ruf an die Universität der Künste für Urbane Innovation angenommen, wo wir Städte, Mobilität, Gesundheit und Digitalisierung mit über 20 Partnern über alle Branchen entwickeln. Super Energie!
Und was wir wirklich wirklich in Zukunft brauchen, also direkt nach der Wahl – von welcher Koalition auch immer – aber immer mit unserer Unterstützung auch in der Politikberatung:
Klimaneutrale, emissionsfreie und leise Städte: Wir sind zurecht aus Europa verklagt worden, und die Europäische Kommission fördert zu recht neue Städte.
Steuerpolitik: Privilegierung der Mobilitätsart und nicht des Mobilitätsmittels. Mobilitätsbudget statt Dienstwagen und Dienstrad, bei denen Leasing-Vermittler gewinnen und Händler verlieren.
Sharing with Caring: Angebote von kommunalen und Arbeiter-Unternehmen. Digital-, Park- und Ladeinfrastruktur in einer Eigentümer-, Service- und Data Governance-Struktur und nicht von wirklich nicht tragfähigen Geschäftsmodellen.
Indermodale Mobilitätsplattformen: Open Data der Mobilität statt private Datensammlung.
Gesetzliche Verpflichtung bzw. Unterstützung von Home Office und „Werkswohnungen“ sind ebenfalls tolle Initiativen, um Mobilitätsverzicht und günstigen Wohnraum zu schaffen.
Und Schulen, die auch die Eltern daran erinnern, dass früher Kinder einen Gleichgewichtssinn hatten und nicht wie heute nun knapp 20 Prozent sich 30 Minuten moderat bewegen… Die Sorge, dass andere Eltern das eigene Kind mit dem SUV umfahren, um selbst mit dem SUV andere Kinder zu gefährden ist ein Paradox der zivilisierten Welt, wie dass Migranten auf schlechten Rädern zu schlechten Gehältern in nicht funktionierenden Geschäftsmodellen Essen etc. ausliefern… Das wünsche ich mir persönlich sozial und ökologisch klüger. Schaffen wir!
Und ansonsten einfach wie immer: Helm auf. Gang drauf. Grinsend mit Bike Citizen schneller ankommen als andere. Statistisch erwiesen bis 7,9 Kilometer Stadtstrecke.
Kontakt: stephan.jansen@mond.org
Beratung: www.mond.org
Flotten & Diensrad: www.bicicli-solutions.de
Store: www.bicicli.de