Das urbane Fahrradmagazin

Critical Mass – Radfahren ist politisch

Doris und Peter leben gern in Wien - der lebenswertesten Stadt weltweit. Nur den Verkehr finden die zwei passionierten Allwetter-Radfahrenden nicht optimal. Deshalb fahren sie regelmäßig bei der Critical Mass mit. Aber, was ist die "CM"? Wofür steht die Fahrrad-Demo, die weltweit tausende Radfahrende auf die Straßen holt?

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Saskia Bellem, geboren in Heidelberg, hat Ethnologie, Romanistik, Medienwissenschaft und Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland und Schweden studiert. Nach Auslandsaufenthalten in England, Schweden, Namibia und Rumänien lebt sie seit 2007 als freie Journalistin, Übersetzerin und PR-Referentin in Wien. Sie spricht sieben Fremdsprachen und backt gerne Brot, und wenn sie nicht gerade radelt, rennt sie mit einem Hörbuch im Ohr durch die Gegend oder powert sich beim Pilates aus.
Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Die Critical Mass ist ein weltweites Phänomen. Sie schafft als Fahrraddemo ein Bewusstsein für umweltfreundliche Mobilität und setzt ein politisches Statement. Über den ganzen Erdball verteilt radeln an einem Freitag im Monat zigtausend Menschen mit. Die Route ändert sich jedes Mal. Eines ist immer gleich: Die Botschaft.

„Es ist eine politische Frage, wenn ich mir eine autofreie Stadt wünsche. In Amsterdam zum Beispiel gibt es keine Critical Mass, weil Radfahren dort einen viel höheren Stellenwert hat. Soweit sind wir in Wien noch nicht. Veränderungen brauchen hier lange Zeit.“, sagt Doris.

Critical Mass

Wem „gehört“ die Stadt? Wem „gehört“ die Straße? Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Anmerkung d. Redaktion: Die Fotografien zum Artikel stammen vom Hamburger Fotografen SEBASTIAN HOFER / click.inspired und wurden bei der Critical Mass in Berlin aufgenommen.

Vita, Info und Links zum Fotografen am Ende des Artikels. 

Autofreie Städte – sind (k)ein Traum
Die Critical Mass wurde als verkehrspolitische Pro-Fahrrad-Bewegung erstmals 1992 in San Francisco ausgerichtet. Sie hat sich von dort aus als Demonstration weltweit verbreitet. In Vietnam nennt sich die Critical Mass – politisch korrekt – zum Beispiel „Positive Mass“. Nach Wien kam die Fahrrad-Demo 2006. Die Verkehrsregeln variieren von Land zu Land. Die Polizei begleitet die Menschen und gibt acht, dass es zu keinen Reibereien zwischen motorisiertem und nicht-motorisiertem Verkehr kommt. Keine Autos auf der Straße, nur Räder: ein Bild, das Doris gut gefällt.

„Die Critical Mass erlaubt einen Moment lang einen Ausblick in den Traum von der autofreien Stadt. Sie hat ihre Berechtigung, solange der Autoverkehr weiterhin dominiert. Und solange muss ich mich jeden Tag damit auseinandersetzen.“ Für Radfahrende heißt das im Allgemeinen: Im täglichen Straßenverkehr für andere mitzudenken, aufmerksam und vorausschauend zu fahren. Aber auch schmutzige Luft einzuatmen und Lärm auszuhalten gehört dazu.

Critical Mass

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Critical Mass

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Das Fahrrad als Verkehrslösung
Die Bedingungen für Radfahrer findet Doris in Wien nicht optimal. Dabei ist das Fahrrad für sie und Peter die Lösung für ein nachhaltiges Verkehrskonzept und Leben. „Radfahren ist leise, gesund und schnell. Es ist günstig. Ich gebe im Jahr vielleicht 100 Euro mit Reparaturen und Ersatzteilen aus. Räder brauchen wenig Platz, produzieren keine Abgase, und das Fitness-Studio kann man sich auch sparen. Manchmal liegen die Lösungen direkt vor der Nase“, so Peter.

Peter fährt fort: „Die Critical Mass ist ein Schmelztiegel für Leute, die sich engagieren. Sie ist ein Teil der Radkultur in Wien.“  Für viele ist der Grund zur Teilnahme an der Critical Mass, dass man sichtbar ist und als Radfahrer guten Gewissens die ganze Straße einnehmen kann. Es entsteht ein Gefühl der Stärke und Zugehörigkeit  – in jeder noch so kleinen Stadt!

 

Critical Mass

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Critical Mass Berlin

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Buntes Treiben auf der Straße für „Erwachsene“ und Kinder…
An der Critical Mass gefällt Peter, dass sie zeigt, wie vielschichtig Radfahren sein kann. Bei dem „kreativen bunten Treiben“ kommen Menschen mit gewöhnlichen und außergewöhnlichen Fahrrädern zusammen: Selbstgebaute Freakbikes und Tallbikes, robuste Cargobikes und schlanke Rennradklassiker, bunt beleuchtete Fatbikes, Soundbikes sorgen für Musik und vieles mehr.

Die Critical Mass kann auch unter einem bestimmten Motto oder zu einem besonderen Anlass  stattfinden. Da geht es dann meist besonders spektakulär zu wie zum Beispiel Herbst-Lichterfahrten mit bunten Lichtkreationen, Halloween-Fahrten mit Verkleidungen oder Fahrrad-Hochzeits-Korsos… Mittlerweile hat sich auch ein eigener Kinder-Fahrrad-Korso  etabliert – also eine Critical Mass für Kinder und deren Eltern. Der Name: „Kidical Mass“. Diese Kinder-Fahrrad-Demo findet zu familienfreundlichen Zeiten statt.

 

Critical Mass

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Critical Mass

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Zwischen Zwanzig und Zigtausend
Die größte Critical Mass in Wien zählte bis dato 600 Leute. In Berlin, London und New York können es auch schon mal weit über Tausend sein. Bei 4000 Leuten hörte man in New York einmal auf zu zählen… Allen gemein ist, dass die Citical Mass an allen Orten irgendwann mit sehr wenigen Teilnehmenden – vielleicht so 20 Personen – startete und auf das Engagement von ein paar wenigen lokalen Akteuren zurückgeht. Das bedeutet: Jede und jeder kann in seiner Stadt eine Critical Mass starten – auch du!

Critical Mass

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Critical Mass Berlin

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Über den Fotografen
Sebastian Hofer ist Ingenieur und Fotograf. Als Schnittpunkt dieses Doppellebens dreht sich bei ihm bzw. bei click.inspired alles ums Fahrrad: Er hat schon Fahrräder entwickelt, fotografiert sie und ihre Fahrer und arbeitet als Überzeugungstäter an der schönen Zukunft, dass Fahrräder irgendwann zum Mittelpunkt der Mobilität werden. Er lebt in Hamburg, sehnt sich oft nach den Bergen, um dann doch wieder die Weite des Meeres zu vermissen.

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Critical Mass Berlin

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Critical Mass

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Critical Mass

Foto © Sebastian Hofer / click.inspired

Update // Dieser Artikel wurde im Oktober 2o19 aktualisiert. Der ursprüngliche Artikel stammt aus dem Jahr 2o15. Die Autorin ist Saskia Bellem. Die  Überarbeitungen und Aktualisierungen stammen von Karen Rike Greiderer. Die Fotografien machte Sebastian Hofer / click.inspired an einem Freitag Abend im Juli 2o18 bei der Critical Mass in Berlin. 

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Saskia Bellem, geboren in Heidelberg, hat Ethnologie, Romanistik, Medienwissenschaft und Nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland und Schweden studiert. Nach Auslandsaufenthalten in England, Schweden, Namibia und Rumänien lebt sie seit 2007 als freie Journalistin, Übersetzerin und PR-Referentin in Wien. Sie spricht sieben Fremdsprachen und backt gerne Brot, und wenn sie nicht gerade radelt, rennt sie mit einem Hörbuch im Ohr durch die Gegend oder powert sich beim Pilates aus.
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