Das Faltrad im Alltagstest – Mit 12,9 Kilo am Stau vorbei
Das Faltrad hat es in den letzten Jahren aus der Nische in den Mainstream geschafft. Ich bin für zwei Wochen ein Brompton probegefahren – und wurde positiv überrascht.
„Gar kein Ding – einfach das Hinterrad rein, die zwei Schrauben lösen, zwei mal falten, Sattel runter, und es hat Koffergröße. Voll intuitiv!“ – das sind die Worte, mit denen mir Patrick von BOXBIKE sein feuerrotes Brompton in die Hand gibt. Seine Worte werden mich die nächsten zwei Wochen begleiten.
Mein erster Versuch, das Faltrad seinem Namen entsprechend zu nutzen, wirkt alles andere als intuitiv. Natürlich übe ich das Ganze nicht zu Hause vor dem Spiegel, sondern unter Realbedingungen. Und die lauten bei mir: Zwanzig vor sechs im Berliner Hauptbahnhof, Gleis sieben. In einer Minute fährt der ICE Richtung Hamburg-Altona ein, in der Luft liegt die Anspannung der Berufspendler, die wie ich keinen Sitzplatz reserviert haben. Auf dem Rücken trage ich einen vollen Rucksack, in der linken Hand den obligatorischen Baumwollbeutel, mit der rechten manövriere ich das Brompton über den Bahnsteig.

Auffalten – und auffallen: Auch wenn es nicht gerade im Gang steht, zieht das Brompton Aufmerksamkeit auf sich. Mein Versuch, es in einem ICE1 hinter der Glastür zum Großraum zu verstauen, ist leider vergeblich. Im ICE3 klappt es aber.
Auffalten – und auffallen
Die erste Erkenntnis stellt sich früh ein: Wer ein knallrotes Faltrad dabei hat, fällt auf. Kinder zeigen begeistert auf mich, ältere Herren wenden ihre Köpfe, und von vielen Mitreisenden werde ich höflich nach dem Fahrgefühl ‚meines‘ Bromptons ausgehorcht. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich viele Fotos für diesen Bericht mache, oder schlicht an meiner Körpergröße. In meinem Fall könnte der Brompton-Test nämlich unter der Kategorie „Bike Citizens testen Dinge, die sie wie Clowns aussehen lassen“ stehen. Mit meinen 2,01 Metern bin ich schon ein Sonderkunde bei konventionellen Rahmenherstellern. Mit der Teleskop-Sattelstütze hat Brompton zwar eine passable Lösung dafür entwickelt – Wenn ich mich in den Schaufensterscheiben unseres Büros spiegele, ist der Gedanke an Krusty den Clown trotzdem nicht weit. Im Fahrgefühl spiegelt sich das allerdings kaum wider, aber dazu später.

Die neugierigen Blicke meiner Mitreisenden deuten darauf hin, dass Falträder im Alltag in Deutschland noch keine Selbstverständlichkeit sind. Anders ist das zum Beispiel in England, wo die ‚Mutter aller Falträder‘ seit Anfang der 1980er-Jahre hergestellt wird. Foto: Michiel Hendryckx / Wikimedia Commons, CC-Lizenz BY-SA 3.0 Unported
Während Faltrad lange Zeit assoziativ zwischen Tweedsakko und Emil, der anziehbaren Trinkflasche rangierte, ist das Brompton heute massentauglich. Der markante vierstufige Faltmechanismus ist längst patentiert und zum Morgenritual einer ganzen Bevölkerungsgruppe geworden. Faltrad fahren heute Frauen und Männer aller Art, vom Radelmädchen bis zum Weltreisenden. Immer mehr von ihnen stehen zu früher (oder später) Stunde am Bahnsteigrand und machen vier charakteristische Bewegungen. Und das hat gegenüber konventionellen Fahrrädern entscheidende Vorteile.
Beziehungsstatus Fahrrad und Öffentlicher Verkehr: Es ist kompliziert
Wenn ich mit der Bahn auf meiner Stammstrecke von Berlin-Ostbahnhof nach Hamburg ein ‚normales‘ Rad befördern will, wird es etwas kompliziert.
Für die S-Bahn-Fahrt muss ich zunächst für 1,90 Euro eine VBB-Fahrradkarte lösen.
Für die Mitnahme im EuroCity berechnet die DB Fernverkehr 9 Euro (mit BahnCard 25 oder 50 nur 6 Euro), die mir als Inhaber einer BahnCard 100 aber freundlicherweise nicht berechnet werden. Allerdings muss ich die Reservierung telefonisch oder im Reisezentrum vornehmen. Das muss mindestens einen Tag im Voraus passieren, was die gewohnte Flexibilität meiner Reisen leider etwas einschränkt. Angekommen in Hamburg, ist die Fahrradmitnahme im Nahverkehr i.d.R. kostenlos, aber in den Hauptverkehrszeiten (sinnvollerweise) verboten.
Im Fernverkehr kommt hinzu, dass ich das „Nicht-Falti“ im Fernverkehr nur in den IC-Zügen transportieren darf. In den ICEs geht es erfahrungsgemäß nur dann, wenn ich es zerlege und verpacke und der Zugbegleiter ein Auge zudrückt. Anders wird es mit den ICE 4-Zügen, in denen Fahrradstellplätze angeboten werden. Pro Garnitur werden ganze acht Plätze auf 456 bzw. 830 Sitzplätze eingeplant. Wenn der ICE 4 wie geplant die alten IC-Garnituren ersetzt, die derzeit deutlich mehr Stellplätze bieten, ist da also Luft nach oben.

Fahrradabteil eines IC-Waggons mit 16 Fahrradstellplätzen. Der ICE4 soll alte Garnituren dieses Typs ersetzen, bietet aber nur acht Fahrradplätze. Hier ist ein Engpass abzusehen.
Wer sein Fahrrad mit der Bahn von der größten Stadt Deutschlands in die zweitgrößte transportieren will, den erwarten also Kosten von etwa zehn Euro, eine Reservierungsfrist von einem Tag und bis zu drei Beförderungsbedingungen mit jeweils eigenen Regeln zur Fahrradmitnahme. Die schiere Anzahl deutscher Verkehrsverbünde (Wikipedia zählt 114 Stück) lässt erahnen, wie groß mein Risiko ist, mir Stress mit den örtlichen Fahrscheinprüfern einzuhandeln, wenn ich mich nicht gründlich einlese und das Rad zur falschen Zeit oder zum falschen Tarif mitnehme. Intuitiv ist das schon mal nicht.
Wo das Brompton seine Stärke ausspielt: Im Handgepäck
Anders ist es bekanntermaßen beim Faltrad: Im zusammengefalteten Zustand gilt es in der Regel als Handgepäck. Damit kann es sich in der deutschen Verkehrslandschaft gegenüber dem ‚normalen‘ Rad behaupten. Besonders gilt das für all diejenigen, die mehrmals wöchentlich oder gar mehrmals täglich „multimodal“ mit Rad und Öffis unterwegs sind. Für sie wurde das Brompton entwickelt, und das merke ich meinem Testrad an. Die Scharniere sind gewichtssparend, aber wertig verarbeitet. Die Brems- und Schaltzüge sind mit Köpfchen verlegt und verfangen sich nirgendwo. Es klappert… nichts. „Voll intuitiv“ wird meine Falttechnik bis zum Ende des Testzeitraums zwar nicht werden, aber nach einigen Bahnfahrten schaffe ich es innerhalb von 20 Sekunden auf 59 x 57 x 27 cm. In den meisten Zügen findet sich ein guter Platz, an dem ich das Rad in der Regel sogar anschließen kann. Sobald ich ein Gebäude betrete, scheint das Brompton allerdings schlagartig zu wachsen: Plötzlich wirkt es viel weniger handlich. In der Kneipe unter den Tisch gezwängt, hat es gar etwas klobiges an sich. Mit dem Zentralverband deutscher Bademeister scheint sich Brompton auch nicht abgestimmt zu haben: Leider passt mein Testrad in keinem der drei getesteten Schwimmbäder in den Spind.
![]() Leider passt das Faltrad in keinem der drei besuchten Schwimmbäder in den Spind. Die Lösung erfordert etwas Kreativität und ein flexibles Schloss – …
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![]() … Einmal um die Kleiderstange und durch den Schlitz der Tür geführt, erfüllt das Kettenschloss auch hier seinen Zweck. In einem der getesteten Bäder ist der Schlitz aber nicht breit genug für die Kette– hier schafft mein Ledergürtel Abhilfe.
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Auch scheint das Faltrad auf wunderliche Weise schwerer zu werden, wenn ich Treppen steigen muss. Berliner Altbauten haben bekanntermaßen besonders viele davon. Ab dem dritten Stockwerk gehen mir die 12,9 Kilo des Testrades gehörig auf die Kondition. Ab dem fünften Stockwerk bin ich überglücklich, dass das Berliner Bike Citizens-Büro im Januar ins Erdgeschoss verlegt wurde.
Die Fahreigenschaften: Etwas kippelig, aber trotzdem erhaben
Vor dem Test habe ich angenommen, dass sich ein 16-Zoll-Rad nicht wertig anfühlen könnte. Meine bisherige Erfahrung beläuft sich auf das in die Jahre gekommene Klapprad eines Mitbewohners, das den schönen Namen Emma trug. Emma war zwar liebenswert, hatte aber am Mittelscharnier ein Spiel von mehreren Millimetern. So fühlte es sich manchmal an, als ob mein Klapprad mir buchstäblich unter dem Hintern zusammengeklappte – bei knapp über Schrittgeschwindigkeit war das schon nicht mehr feierlich. Außerdem habe ich einmal versucht, sie im ICE mitzunehmen. Der Versuch, die rostige Emma vor den Augen der Zugchefin zusammenzuklappen, war erbärmlich. Offenbar so erbärmlich, dass die Zugchefin beide Augen zudrückte und mich auch mit ganzem Klapprad mitnahm. Natürlich nicht, ohne eine süffisante Bemerkung über mein Gefährt fallenzulassen.
Für das Brompton gilt derweil: Klappern hört man es selten. Zwischen dem vorderen Rahmen und der Hinterradschwinge gibt es zwar eine große Klickverbindung, die sich bei Zug-Belastung hörbar und spürbar bewegt (zum Beispiel, wenn ich mit dem Vorderrad eine Bordsteinkante ‚runterfahre). Im Vergleich zur jahrzehntealten Wackelpartie – sorry, Emma! – fühlt sich das moderne Faltrad aber deutlich besser und sicherer an. Selbst als ich an einem Gefälle bei Kassel meinen Brompton-Geschwindigkeitsrekord von 46 km/h aufstelle, brauche ich keinen Rosenkranz beten. Die Hand vom Lenker zu nehmen, würde ich mich auch gar nicht trauen…
Was mir von Anfang an Schwierigkeiten bereitet, ist die Schaltung, eine Kombination aus Naben- und Kettenschaltung. Über zwei Hebel kann ich drei bzw. zwei Gänge ansteuern, die in Kombination einen Umfang von 302 Prozent ermöglichen. Dieses Verhältnis zwischen niedrigstem und höchstem Gang erweist sich im Stadtverkehr als praktisch. Allerdings sagt mir die Haptik überhaupt nicht zu: Die beiden Schalthebel wirken billig verarbeitet, weil sie ein spürbares Spiel haben. Das Schalten erinnert mich an die ausgenudelte Torpedo-Dreigangschaltung meines allerersten Fahrrades. Außerdem komme ich ständig durcheinander, wo ich drücken muss, um in den nächsten passenden Gang zu kommen.
Es sei mir zugute gehalten, dass ich in den letzten elf Jahren nur Nabenschaltungen gefahren bin. Damit bin ich darauf konditioniert, mit einer Hand stupide hoch- und ‚runterzuschalten, ohne weiter darüber nachzudenken. Für mich ist es schon eine Herausforderung, mich beim Tausch vom Alltagsrad (Shimano Alfine 8 mit Nexus-Drehgriff) auf‘s Reiserad (Rohloff Speedhub) dem Richtungswechsel beim Schalten anzupassen.
Auf einer Bahnfahrt nach dem Test wird mir ein Brompton-Liebhaber versichern, dass die Schalthebel absichtlich so „leicht und robust“ gebaut seien. Es handele sich um eine Maßnahme, um Gewicht zu reduzieren und Bruchschäden zu vermeiden, falls ein Hebel doch mal versehentlich irgendwo hängen bleibt. Das mag pragmatisch sein – fühlt sich aber nicht nach einem Fahrrad an, für das ich einen vierstelligen Betrag bezahle. Beim Fachhändler lässt sich das Brompton allerdings mit anderer Schaltung bestellen. Und das Schalten selbst funktioniert tadellos auch bei größeren Sprüngen.

Wie alles am Brompton sind die Brems- und Schaltkomponenten gewichtsoptimiert. Leider haben beide Schalthebel ein merkliches Spiel. Das fühlt sich nicht nach einem wertigen Fahrzeug an, sondern erinnert mich an die Torpedo-Dreigangschaltung meines Kinderrades.
Leider ist mir der Standard-Sattel zu klein. Am zweiten Tag tausche ich ihn kurzerhand gegen meinen Brooks B66 aus. Dieser ist mit der schweren Stahlfederung nicht optimal für‘s Faltrad, und den durchdachten Tragegriff unter dem Sattel bietet er auch nicht. Das abgewetzte Leder verleiht dem Rad dafür eine gehörige Portion Wertigkeit.
Ebenfalls dürftig fühlen sich die Griffbezüge aus Schaumstoff an. Schon nach etwa acht Kilometer beginnen meine Handgelenke zu schmerzen. Das ist aber nicht dem Prinzip Faltrad geschuldet, sondern eine Frage der Ausstattung. Für ein Demo-Bike sind die Lenkerbezüge durchaus in Ordnung.
Letztendlich befreit mich der zweiwöchige Testzeitraum von einem Vorurteil. Dass ein modernes Faltrad sich nicht wertig anfühlen würde, war ein Fehlschluss. Die Schaltung mit einer Spannweite von 302 Prozent macht im Stadtverkehr Spaß.
So ruhig wie ein „Großes“ wird sich ein Brompton nie fahren. Aber mit seinem unschlagbaren Packmaß ist es eben im eigenen Wortsinn ein Reiserad.
Fazit
Als ich Patrick das Testrad nach gut zwei Wochen zurückgebe, bin ich um ein Vorurteil ärmer: Verglichen mit dem Klapprad aus früheren Zeiten spielt Brompton eindeutig in einer anderen Liga – ein Fazit, das auch meine Kollegin Karen letztes Jahr gezogen hat. Das Faltrad fährt sich auch für mich als großen Menschen angenehm und ist dabei sogar halbwegs schön anzusehen (glaube ich).
Im täglichen Gebrauch merke ich dem Faltrad an, dass darin über 30 Jahre Ingenieurskunst stecken. Das Falten geht schnell und ohne mir die Finger schmutzig zu machen. Die Kette liegt im gefalteten Zustand innen, sodass ich keine Ölflecken auf der Hose fürchten brauche (muss allerdings mit den Laufrädern ein bisschen aufpassen). Auch mit meinem Standardgepäck in der Hand (Rucksack und Baumwollbeutel) lässt sich das Rad souverän über den Bahnsteig und in den Zug bugsieren. Dort ist es dann ein großartiger Eisbrecher, um mit Mitreisenden ins Gespräch zu kommen.
Die fummeligen Schalthebel sind ein eindeutiger Minuspunkt: Von einem Rad mit einem Einstiegspreis von 1370 Euro (6-Gang ohne Schutzbleche und Gepäckträger) erwarte ich mir mehr Wertigkeit im Fahrgefühl. Wie auch beim Sattel und den Lenkergriffen spricht dieses Manko nicht gegen das Prinzip Faltrad, sondern ist eine Frage der Ausstattung. Außerdem hat mir das Radelmädchen im Mai stolz sein neues Brompton vorgeführt. Und, siehe da: Für die 2017er-Reihe sind die Schalthebel elegant unter den Lenker gewandert und sehen viel stimmiger aus.
Insgesamt sollte sich jede/r Interessierte fragen, wie groß der persönliche Nutzen eines Faltrades ist. Wie viele Strecken gibt es im Alltag, die nicht bequem mit Bus und Bahn zu fahren sind? Geht es in der Regel ohnehin um dieselben Strecken? Ist es sinnvoll, an den Stamm-Bahnhöfen jeweils ein Rad abzustellen und ortsweise zu nutzen (Diebstahlrisiko inklusive)?
Für mich ist das Faltrad geeignet, um als Zubringer die Lücken meiner Wegeketten zu schließen. Seine Stärken spielt es überall dort aus, wo die ‚letzte Meile‘ zu lang zum Laufen und zu kurz für den Linienbus ist (wenn denn einer fährt). Es sei aber die Frage gestattet, wie viele Taxifahrten (oder Fahrten mit öffentlichen Mietfahrrädern) ich mir von den 1799 Euro Listenpreis leisten könnte.

Zutaten für zeitgemäße urbane Mobilität: Bike Citizens App, BahnCard und Faltrad-Schlüssel
Letztendlich geht es aber nicht nur um eine Preisfrage, sondern auch um die individuellen Ansprüche an Mobilität: Als Kfz-frei mobilem Menschen hat mir das Faltrad den Bewegungsradius deutlich erhöht, und das ohne die geringste Abhängigkeit von Abfahrtszeiten oder Wabentarifen, die selbst einem Nahverkehrs-Geek ein Fragezeichen auf der Stirn hinterlassen. Mit dem Brompton unterm Arm steige ich aus dem Zug, falte eine halbe Minute vor mich hin und bin abfahrbereit. Das Faltrad liefert mir eine instant mobility, die uns die Automobilindustrie seit Jahrzehnten verspricht, aber niemals einlösen wird. Das fühlt sich verdammt gut an, und nach nur zwei Wochen habe ich diese Kombo verinnerlicht. Das geht so weit, dass ich mich bei den ersten Bahnfahrten nach dem Test selbstverständlich beim Aussteigen nach einem roten Brompton umsehe – eben voll intuitiv.
Das Testrad
Das Demo Bike wiegt 12,9 Kilo und hat einen Listenpreis von 1799 Euro. Es ist beispielsweise bei BOXBIKE in Berlin/Prenzlauer Berg erhältlich. Ausstattung gemäß Katalog:
- Hauptrahmen aus Stahl, Farbe New Red
- Gabel und Hinterbau aus Stahl, Farbe weiß
- H-Lenker
- Schutzbleche und Gepäckträger
- Teleskop-Sattelstütze
- Brompton-Standardsattel
- Harte Gummi-Federung
- Brompton-Kevlarbereifung 16 Zoll
- Shimano-Nabendynamo