Das urbane Fahrradmagazin

Fridays for future? Cyclists for future! Globale Radrevolution und Verkehrswende – jetzt!

Über die ganze Welt verteilt kämpfen Radfahrende für die gleichen Ziele und gegen die gleichen Widerstände. Höchste Zeit für die globale Radrevolution à la Fridays for Future. Aber wie? Der Autor Tobias Finger analysiert die aktuelle Lage anhand von zwei grundlegend unterschiedlichen Städtebeispielen: Berlin und Vancouver; und gibt Radfahrenden Hoffnung, Mut und Handlungsoptionen!

Tobias Finger square
Tobias Finger ist freier Journalist und Sozialwissenschaftler in Berlin. Wenn er nicht schreibt, kutschiert er Laptop, Kamera und Notizbuch mit dem Rad durch die deutsche Hauptstadt.
Mahnwache in Berlin © Volksentscheid Fahrrad / Changing Cities

An den verschiedensten Orten auf der Welt setzen sich Menschen für bessere Infrastruktur, sicheres Radfahren und fahrradfreundliche Verkehrspolitik ein. Dafür organisieren sie sich als Aktivisten und Aktivistinnen, in Lobbyverbänden, Grassroots-Organisationen und NGOs. Sie setzen Prioritäten, schaffen Aufmerksamkeit und kämpfen gegen Widerstände. Immer abhängig vom lokalen Kontext.

So werden unterschiedliche Strategien entwickelt, Lösungsansätze erarbeitet und Organisationen gebildet. Mal steht die Sicherheit im Vordergrund, mal der Umweltschutz und mal liegt der Fokus eher auf der Lebensqualität. Doch die Motivation bleibt die gleiche: Die Bedingungen für Radfahren und Radfahrende zu verbessern und die Umwelt zu schützen!

Fridays for future

Die Verkehrslage in Berlin (und vielen anderen deutschen Städten) ist am Limit © Markus Spiske

Die Lage in Berlin, Deutschland

Verbände halten den Druck hoch. Private Initiativen erhöhen den Druck.
In Deutschland sagt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) über sich selbst: „Wir sind die Fahrradlobby.“ Dafür kooperiert er mit anderen kleineren Organisationen wie eine Art Dachverband und arbeitet mit Behörden zusammen, um die „rechtlichen und verkehrstechnischen Grundlagen und Möglichkeiten des Fahrradverkehrs“ zu verbessern – deutschlandweit. Auch der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der sich laut Eigenbeschreibung „für eine umwelt- und sozialverträgliche, sichere und gesunde Mobilität“ einsetzt, übernimmt eine ähnliche Rolle. Durch seine basisdemokratische Struktur ist er auch direkter beteiligt und mischt sich als Verband und durch seine Mitglieder aktiv in die lokale und regionale Verkehrspolitik ein.

Initiativen: Volksentscheid Fahrrad bzw. Radentscheid
Auch neben den beiden großen Verkehrsverbänden gibt es eine Vielzahl von engagierten Vereinen und Initiativen, die jeweils unterschiedliche Prioritäten von Naturschutz und Nachhaltigkeit bis zu Infrastruktur und Sicherheit setzen. Doch gerade die Konzentration auf vielfältige Schwerpunktthemen sorgt dafür, dass sie in ihrer Gesamtheit so ein Gewicht haben – wenn sie sich denn organisieren und vernetzen.

In Berlin zum Beispiel hat die Initiative Volksentscheid Fahrrad maßgeblich zur Erarbeitung des ersten deutschen Mobilitätsgesetzes beigetragen, das als Deutschlands erstes „Radgesetz“ gilt. Die Vision: ein Straßenverkehr ohne Unfalltote, Milliardeninvestitionen für sichere Infrastruktur und dadurch tausende Menschen, die vom Auto aufs Fahrrad umsteigen.In einer Stadt wie Berlin, deren Verkehrsnetz divers und deren Struktur engmaschig ist, fordert die Initiative umfassende städtebauliche Maßnahmen, baulich getrennte Radwege und grundsätzlich mehr Platz für den Radverkehr – auch beim Thema Radparken. So könnten Fahrradabstellplätze im Kreuzungsbereich Falschparker fernhalten und für bessere Übersicht sorgen. Als Herzensprojekt des Initiators Heinrich Strößenreuther und seines Vereins Changing Cities gestartet, nahm die Initiative durch stadtweite Vernetzung, Kooperationen mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren und der Bildung von Netzwerken auf Bezirksebene Fahrt auf. Auch in Kooperation mit den großen Verbänden haben die Initiatoren und Initiatorinnen, sowie die Unterstützer und Unterstützerinnen der Initiative das Projekt vorangetrieben – und halten kollektiv den Druck auf die Rot-Rot-Grüne Regierung aufrecht.

Sie erarbeiten mit anderen Organisationen Entwürfe für sichere Infrastruktur und tragen sie an politische Entscheidungsträger und Eintscheidungsträgerinnen heran. Zum Beispiel im Raddialog, in dessen Rahmen der Berliner Senat mit Bürgern, Bürgerinnen und Organisationen neue Konzepte für die Verkehrspolitik entwerfen will. Und sie schaffen Aufmerksamkeit durch Mahnwachen an Unfallorten, mit dem großen Ziel, im nächsten Jahr keine mehr abhalten zu müssen.

VCD Diesel Berlin ADFC Katja Täubert

Der VCD setzt sich für Flächengerechtigkeit in der Stadt und gesamtheitliche Mobilität ein. Umweltschutz und Gesundheit spielen eine tragende Rolle.  © Katja Täubert

VCD Berlin

Der VCD bietet praktische Tools, wie alle Bürger und Bürgerinnen die Verkehrswende selbst aktiv in die Hand nehmen können. © VCD

Changing Cities Berlin Fahrrad Kind Sicherheit LKW

Mit einer spektakulären Aktion zeigt Changing Cities, der Trägerverein des Volksentscheid Fahrrad, wie gefährlich Radwege in Berlin sind.  Oder würdest du mit deinem Kind hier Rad fahren? © Volksentscheid Fahrrad / Changing Cities

„Weiter so“ darf es nicht geben
„Das größte Hindernis in der Planung und Umsetzung des Mobilitätsgesetzes sind aktuell neben dem Personalmangel die komplizierten Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken“, kritisierte der ADFC Berlin im September 2018 die schleppende Implementierung der geplanten Vorhaben. „Ein „Weiter so“ darf es nicht geben!“ Mangelnde Transparenz, fehlende Einbindung bei der Umsetzung von Maßnahmen, entgegengesetzte Interessen – alles Faktoren, die aus Sicht des ADFC Fortschritt verhindern. Dabei haben die engagierten Radfahrer und Radfahrerinnen gemeinsam mit den Verbänden mit dem Mobilitätsgesetz schon viel erreicht. Weil sie sich vernetzt haben, koordiniert handeln und gemeinsam Öffentlichkeit schaffen.

Vernetzung
Wichtige Forderungen sind das, ohne Zweifel. Dennoch: Würden sie nur von Einzelpersonen gestellt werden, hätten sie kein politisches Gewicht. Erst die Organisation, die Vernetzung lokaler Akteure und Individuen sowie die resultierende Kanalisierung ihrer Positionen und Forderungen verleiht ihnen und vorgeschlagenen Lösungsansätzen politisches Gewicht. Und trotzdem scheitern sie häufig an verschiedenen Widerständen. Erst die Organisation, die Vernetzung lokaler Akteure und Individuen sowie die resultierende Kanalisierung ihrer Positionen und Forderungen verleiht ihnen und vorgeschlagenen Lösungsansätzen politisches Gewicht. Und trotzdem scheitern sie häufig an verschiedenen Widerständen.

Vancouver British Columbia Northwest Pacific Coast Whistler

Vancouver, British Columbia / Kanada kämpft mit anderen Problemen in Bezug auf Mobilität © The Bialons 

Die Lage in Vancouver, (British Columbia) Kanada

Plan B für sechsspurige Straßen durch die Stadt und jeden Tag Regen
In Vancouver, Kanada zum Beispiel läuft das etwas anders. Die Stadt am Pazifik wird vom „Cycling in Cities Research Program“ der örtlichen University of British Columbia auf der Liste der fahrradfreundlichsten Städte des Landes auf Platz zwei geführt. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hat die Kommune viel investiert, vermehrt Radrouten in das Verkehrsnetz der Stadt implementiert und für das Fahrrad als Mobilitätsmittel geworben.

Die drittgrößte Metropolregion des Landes hat den Transportation 2040 Plan entworfen, eine Strategie für die verkehrspolitische Zukunft Vancouvers. Darin heben die Verantwortlichen hervor, wie sie mit Partnerorganisationen kooperieren und mit Bürgern in einen Dialog treten wollen. Doch die Entscheidungs- und Planungsmacht liegt klar bei der Politik. Dabei haben auch Verbände und NGOs in Vancouver ihre ganz eigene Meinung zur Radmobilität in „ihrer“ Stadt.

Andere Länder. Andere Herausforderungen!
Wie überall in Nordamerika liegt der Fokus der Verkehrsplanung auf dem motorisierten Individualverkehr. Ein eigenes Auto bedeutet Freiheit, Freiheit bedeutet Lebensqualität. So lautet die weitverbreitete Sichtweise. Auch deshalb dominieren vier oder sechsspurige Straßen das Stadtbild Vancouvers. Zusätzlich prägen es viele Hügel und weite Wege, bedingt durch die niedrige Bauweise außerhalb des Innenstadtkerns. Außerdem regnet es im Herbst und Winter durchschnittlich öfter als jeden zweiten Tag, der ÖPNV (Anm: Öffentlicher Personen Nahverkehr) besteht zum allergrößten Teil aus chronisch überlasteten Bussen.

Motivation fürs Radfahren
Dementsprechend ist das erklärte erste Ziel vieler aktiver Organisationen, Menschen zum Radfahren zu motivieren. HUB Cycling, seit 1998 aktiv für Fahrradbelange in und um Vancouver, beschreibt seine Mission: „To get more people cycling, more often.“ Er setzt sich aber auch bei den politischen Entscheidungsträgern für sichere Infrastruktur ein, sowohl für Radfahren als auch -parken. Geschützte Radstreifen, Verkehrsberuhigung und andere Erfolge reklamiert die Organisation auf ihrer Website für sich. Gegenwind bekommt HUB von Autofahrern und Autofahrerinnen, die ihren Stellenwert auf der Straße nicht verlieren wollen.

HUB Cycling ist gemeinsam mit vielen anderen Partnern in der British Columbia Cycling Coalition (BCCC) organisiert. BCCC setzt sich im Namen seiner Mitglieder für sichere Infrastruktur ein und schafft Aufmerksamkeit für Fahrradfahren. Beide sind untrennbar miteinander verknüpft: Sichere Infrastruktur ist notwendig, um mehr Menschen vom Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel zu überzeugen. Umgekehrt machen nur mehr Radfahrer und Radfahrerinnen die Notwendigkeit dieser Infrastruktur deutlich.

Fridays for future Vancouver HUB

Coole Events mit Demo-Charakter sorgen für mehr Sichtbarkeit von Radfahrenden auf Vancouvers Straßen © HUB / @jasminesallaycarrington

HUB Vancouver Fahrrad Bicylce

Die Rides sind spektakulär und ziehen viele Radfahrende an! © HUB / Simon Yoon

Vancouver Street Traffic

Sechsspurige Autostraßen ziehen sich quer durchs Stadtbild Vancouvers © Aditya Chinchure

Vernetzt euch!
Eine Überzeugung ist allen erwähnten Personen und Organisationen gemein: Mehr Radverkehr sorgt für bessere Lebensqualität, sowohl individuell als auch in der Kommune. Er schützt die Umwelt sowie das Klima. Doch ein mehr an Radverkehr braucht sichere und gesicherte Infrastruktur. Für diese Ziele kämpfen die unterschiedlichen Organisationen an verschiedensten Orten. Den Kampf organisieren sie in Netzwerken und Dachverbänden, um sich zu vernetzen, auszutauschen und geschlossen aufzutreten, wenn sie ihre Anliegen, Konzepte und Ideen an die politischen Entscheidungsträger herantragen.

Mit dieser Strategie sind sie bislang gut gefahren, konnten Gesetzesentwürfe mitgestalten und Bauvorhaben anstoßen – im Rahmen der jeweiligen lokalen Kontexte. Doch der Ruf nach einer nachhaltigen, ausgeglichenen Mobilitätsplanung beschränkt sich nicht auf einzelne Städte und Orte. Im Gegenteil: Sie ist ein globales Bedürfnis. Deshalb sollten Initiativen und Organisationen den nächsten Schritt gehen und sich international vernetzen, um auf dieser Ebene mit einer Stimme zu sprechen. Und Druck aufzubauen!

Klar, lokale Gegebenheiten können nicht ausgeblendet werden. Sollten sie auch gar nicht. Im Gegenteil. Weltweit könnten Vereine, Verbände und Initiativen von den Erfahrungen der jeweils anderen lernen. Zum Beispiel, wenn sie sich mit einem Problem konfrontiert sehen, dass ihre Gegenstücke andernorts schon überwunden haben. Oder umgekehrt, wenn eine an einem Ort entwickelte Problemlösung „hier“ noch nicht umsetzbar ist, woanders aber die Voraussetzungen für die Implementierung existieren. Wenn sich dann vor Ort etwas getan hat, kann die Best Practice aus dem Ausland zurück importiert werden.

Vancouver Bicycle

Vancouver etablierte bereits „bottom up“ viele geschützte Radwege © Jack Church

Berlin Metro Street Fahrrad Volksentscheid

In Berlin lassen die sicheren Radwege – trotz Radgesetz (!) –  lange auf sich warten © Gily

Vernetzung schafft Räume für Machbarkeiten. Was in einer Stadt nicht klappt, kann in einer anderen Stadt ganz einfach sein. Verbindet euch! © Robin Worrall

Die beste Zeit für die Radrevolution? Jetzt!
Veranstaltungen wie die International Cycling Safety Conference sind zwar wichtig und gut, bieten aber meistens nur Experten und Expertinnen aus Forschung und Industrie ein Forum. Für die Vernetzung von Grassroots-Organisationen, Bürgerinitiativen sowie Aktivisten und Aktivistinnen sind sie hingegen nicht geeignet. Die muss andernorts stattfinden, vermutlich digital?

Natürlich sind lokale Gruppen auch vorrangig an der Verbesserung der Lage in ihrer Gemeinschaft interessiert. Dabei dürfen sie aber nicht übersehen, dass die eigene Sache zusätzlich an Fahrt aufnimmt, wenn sie zum Teil einer globalen Bewegung geworden ist. Die Grundlagen dafür sind in dem Dreigestirn aus Forderung, Effekt und Ziel angelegt: Sichere und gute Radinfrastruktur führt zu mehr Radverkehr, der einen nachhaltigen, lebenswerten Lebensstil zur Konsequenz hat.

Wenn sich diese auf den lokalen Kontext beschränken, kann zwar viel erreicht werden. Doch die volle Kraft entfalten Forderungen und Aktivismus erst als weltweite Bewegung. Das Bedürfnis dafür existiert. Die technischen Möglichkeiten ebenfalls. Das Potenzial erst recht.

Worauf warten wir eigentlich?
Es ist Zeit für die globale Radrevolution.
#Cyclistsforfuture: Jetzt!

 

Tobias Finger square
Tobias Finger ist freier Journalist und Sozialwissenschaftler in Berlin. Wenn er nicht schreibt, kutschiert er Laptop, Kamera und Notizbuch mit dem Rad durch die deutsche Hauptstadt.
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