Graz-Tokyo #5: 3000 Höhenmeter über dem Meeresspiegel, China und der absolute Tiefpunkt!
Worum geht's eigentlich beim Radreisen? Schlafmangel, Kulturschock, Kontrolle und das Gefühl aufgeben zu wollen Elias und Fabio fühlen sich ihrem Ziel so fern wie nie zuvor - trotz China. Wie finden die Zwei ihren Weg?
Drei Monate China
Endlich in China. Wo sich Elias und Fabio trotz geografischer Nähe dem Ziel so fern fühlten wie nie zuvor. Dass China keine einfache Etappe werden würde, war den beiden (immer noch) besten Freunden bewusst. Statt der Staatsgrenze nach Korea näher zu kommen, sind die beiden an ihre mentale Grenze gestoßen.
Drei Monate China hatten es in sich. Gedanken ans Aufgeben und Hinschmeißen waren an der Tagesordnung. Völlige Lustlosigkeit, chronischer Schlafmangel und paranoide Verhaltensweisen waren die kräfteraubenden Begleiter durch ein Land, dass kulturell und menschlich so weit weg ist von allem, was die Beiden bis jetzt kennengelernt haben.
Fazit: Danke und auf Wiedersehen!
Vom absoluten Tiefpunkt und anderen Negativ-Rekorden der Reise – aber alles der Reihe nach…

Paranoide Verhaltensweisen waren die kräfteraubenden Begleiter durch China. Foto © Graz Tokyo
Uiguren und Überwachung
Das chinesische Abenteuer startete in der westlichen Provinz Xinjiang. In diesem autonomen Gebiet lebt die ethnische Minderheit der Uiguren, welche von der chinesischen Regierung systematischen unterdrückt wird. Viele Informationen über die heiklen politischen Zustände in diesem Gebiet fielen Fabio und Elias erst hinterher in die Hände. Zum Glück. Was die beiden mehr als deutlich zu spüren bekamen war, was es bedeutet, der vollkommenen und ständigen Überwachung ausgesetzt zu sein.
Kontrollorgane und Paranoia
Die nordwestchinesische Region Xinjiang wird mittels digitalen Technologien wie Gesichtserkennung und der intensiven Präsenz von verdeckten Kontrollorganen streng überwacht. Elias und Fabio kämpften tagtäglich mit mehreren Polizeikontrollen. Auch wenn manche schnell und standardisiert abliefen, dauerten andere gut eine Stunde und mehr. Oft wurden die beiden von Zivilpersonen angesprochen, die neugierig über alle Details der Radreise Bescheid wissen wollten. Der Freude über das positive Feedback folgte bittere Enttäuschung. Am Ende des vermeintlich netten Gesprächs outeten sich die interessierten Leute meist als Polizisten. Die vielen Enttäuschungen entwickelten sich rasch zu prophylaktischem Misstrauen – und später zu einer regelrechten Paranoia.
Von Checkpoint zu Checkpoint: Verfolgung bis spät in die Nacht
Dass die Polizei die beiden auf Schritt und Tritt verfolgte, war weniger beruhigend als lästig. Die ständige Ausfragerei machte nicht einmal beim Essen halt. Die Polizei hat die beiden über mehrere Kilometer mit Autos begleitet (oder verfolgt?) – doch beschützt fühlten sie sich von ihren „Bodyguards“ ganz und gar nicht. Im Gegenteil. Einmal wurden Elias und Fabio am späten Abend campend unter einer Brücke aufgegriffen und mussten bis 2:00 Uhr in der Früh zum nächsten Checkpoint weiterfahren.
Die Lust und der Mut zu Campen und zu Radeln war schnell verflogen. Was mit viel Freude und Leidenschaft begonnen hat, rasselte rasant an einen Tiefpunkt. Die chinesischen Nächte waren nicht erholsam. Jedes Geräusch ließ Fabio aus Albträumen aufschrecken, jedes Licht schürte die Angst vor einer erneuten Polizeikontrolle. Vollkommen paranoid, gestresst, entmutigt und lustlos beschlossen die beiden, auf dem schnellsten Weg aus der Provinz zu kommen – völlig egal, dass dies bedeutete die eigens definierten Regeln zu brechen. Zwei Zugtickets und 25 Stunden später kamen Elias und Fabio mit neuer Motivation in Lanzhou an.
Wohnmobil und Zug statt Fahrrad
Wie es das Schicksal wollte, haben sie dort zwei Deutsche mit Wohnmobil wiedergetroffen, die bereits in Usbekistan unterwegs nach Kambodscha ihren Weg kreuzten. Spontan ließen Fabio und Elias ihre Habseligkeiten zurück und tauschten für zehn Tage Fahrrad gegen Wohnmobil, Zweisamkeit gegen gute Gesellschaft und Lanzhou gegen Chengdu. Nach dieser willkommenen Auszeit ging es mit dem Zug zurück, um wieder Kurs auf Tokio zu nehmen.
In den Bergen angekommen konnten die Jungs auf über 3.000 Höhenmeter mehrere Tage lang Kraft und Energie tanken. Danach durchradelten sie eine Großstadt nach der anderen – die chinesischen Dimensionen versetzten sie immer wieder ins Staunen.
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Von „ich kann mich selber nicht mehr riechen“zu „ ich rieche mich selber nicht mehr“
Die Verständigung in China war überraschend schwer – außerhalb von Shanghai kamen Elias und Fabio weder mit Englisch noch mit Zeichensprache weiter. Möglicherweise war die markante Duftnote, welche die beiden mittlerweile hinter sich herzogen, auch der Grund warum sie hier niemand verstehen wollte.
Von Lanzhou bis nach Wuhan waren es exakt 30 Tage – ohne Duschmöglichkeit wohlgemerkt. Der Sprung von „ich kann mich selber nicht mehr riechen“ zu „ ich rieche mich selber nicht mehr“ ist ein erstaunlich kleiner. Ab Wuhan radelten Elias und Fabio zur alten Höchstform auf. Täglich standen 100 Kilometer auf dem Plan, um so schnell wie möglich die koreanische Grenze zu erreichen.
Worum es beim Radreisen geht
Drei Monate in China haben ihren Tribut gefordert. Dennoch verbuchen die beiden Freunde auch diese Erfahrung als absolut wertvoll in ihrem Reisetagebuch. Die gemeinsam gemeisterte Herausforderung hat der Freundschaft sprichwörtlich den Siegel aufgedrückt. Ab jetzt kann es weiter gehen.
Voller Vorfreude blicken die beiden dem 4 Rivers Trail Richtung Süden entgegen. Hoffentlich mit schönen Plätzen zum Campen, selbstgekochtem Essen auf dem neuen Gaskocher und ehrlichen Begegnungen mit Einheimischen und Radreisenden. Eben all das, was sie in China vermisst haben.
All das, worum es den Freunden von Anfang an ging. All das, was ein richtiges Reiseabenteuer ausmacht. All das, woran sich Elias und Fabio ihr Leben lang erinnern werden.
Ride on!
- Atemberaubende Fotos vom Radreisealltag gibt es auf ihrem Instagram-Profil.
- Die Zwei und das Radreiseabenteuer noch näher kennenlernen? Lies den BLOG „Graz-Tokyo“!

Geballte Pedalkraft mit Mut und Freude: Das sind Elias und Fabio. Foto © Graz Tokyo
Über die Autorin
Für Bike Citizens begleitet Melanie Almer von der Konzepterei Elias und Fabio vom Schreibtisch aus. Sie hält engen Kontakt zu den Beiden und schreibt regelmäßig über das Radreise Abenteuer. Dass es Menschen geben soll, die mehr als ein Fahrrad besitzen, konnte die sportliche Grazerin, Texterin und Autorin lange nicht verstehen. Heute kann die Marketingberaterin nicht mehr ohne Stadtflitzer, Rennrad und Mountainbike sein. Auch für Klatsch & Tratsch mit Freundinnen sitzt es sich mittlerweile besser am Sattel, als auf der Couch.