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„Die Vision dem Autofahren die Attraktivität zu nehmen“ Wie Los Angeles versucht sich selbst neu zu erfinden und wieso Fahrradfahren dabei eine wichtige Rolle spielt

Ernesto Hernández-López ist nicht nur Professor der Rechtswissenschaften an der Chapman University in Orange/Kalifornien, er ist auch enthusiastischer Radfahrer, der Beruf und Leidenschaft verknüpft. Er untersucht in welche Richtung sich Los Angeles’ Zukunft bewegen kann, wie stark dabei der Mobiliätsplan 2035 das Leben der „Angelinos” zu verändern vermag und warum es dabei zu einem großen Widerstand von Seiten der Bürger/innen kommt.

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Tobias Finger ist freier Journalist und Sozialwissenschaftler in Berlin. Wenn er nicht schreibt, kutschiert er Laptop, Kamera und Notizbuch mit dem Rad durch die deutsche Hauptstadt.
Los Angeles Straßen © Caleb George / Unsplash

Wir haben mit Ernesto Hernández-López gesprochen. Er verrät im Interview wie der Mobilitätsplan 2035 die Verkehrs-Problematik in LA zu lösen versucht, warum Menschen Fahrradwege trotzdem ablehnen und wie die Zukunft aussehen kann – in LA und in anderen Städten.

Das Interview führte Tobias Finger.

Herr Hernández-López, können Sie die verkehrsbedingten Probleme von Los Angeles skizzieren?
E. Hernández-López:          Die Probleme in LA lassen sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen. Nach dem zweiten Weltkrieg, priorisierte die Stadt die Vorstadt-Entwicklung, sprich: Einfamilienhäuser, die leicht von der Autobahn aus zu erreichen sind. Schon in den 1970er Jahren erreichte der Verkehr in LA ein Niveau, das die Menschen frustrierte. Diese Frustration ist geblieben, sogar gewachsen. Seit dem Jahr 2015 versucht die Stadt diese Probleme in Angriff zu nehmen und setzt diese Vision sukzessive um. Diese Vision – der Mobilitätsplan 2035 – macht Autos überflüssig!

Wie sieht der Mobilitätsplan 2035 aus?
E. Hernández-López:          Das Anlegen von Radwegen ist ein Teil davon. Der Plan beinhaltet aber auch andere Dinge, wie zum Beispiel die öffentlichen Verkehrsmittel, die es in LA so gut wie gar nicht gibt. So versucht die Stadt in den nächsten 20 Jahren das Verkehrsproblem zu reduzieren. Es werden keine neuen Straßen gebaut, sondern die Leute aus den Autos heraus geholt.

LA Los Angeles Öffentlicher Verkehr Transport Bus LA Greiderer

Der öffentliche Nahverkehr ist in LA weder gut ausgebaut noch etabliert  © Karen Rike Greiderer


Ein Teil des Mobilitätsplans 2035 ist also, dass Fahrrad als Fortbewegungsmittel in den Vordergrund zu rücken. Welche Rolle hat das Radfahren in LA im Moment?

E. Hernández-López:          Keine große. Und das ist ironisch. Südkalifornien ist aus Radfahrperspektive ideal. In LA sind 87% der Straßen flach. Wir haben 300 Tage perfektes Radfahrwetter – jedes Jahr! Und trotzdem: Städte wie Chicago oder New York unterstützen das Radfahren deutlich mehr. Diese Städte und viele mehr in Nordamerika haben einerseits eine etabliertere Fahrradkultur und andererseits, was die Fahrradinfrastruktur betrifft, eine viel größere staatliche Unterstützung erhalten. Die meisten dieser Städte haben lange Winter, mehr Regen und Schnee als LA! Aber auch in LA hat das Radfahren im Alltag zugenommen. Trotzdem werden 84% der Fahrten unter drei Meilen (Anm. der Red. ca. 5 km) mit dem Auto zurückgelegt. Es muss eine große Veränderung geben. Zum einen wie die Stadt infrastrukturell aufgestellt ist, zum anderen wie sich die Menschen ihre Fortbewegung vorstellen.

Wie versucht der Mobilitätsplan diese Ziele zu erreichen?
E. Hernández-López:          Der Mobilitätsplan strukturiert Entscheidungen für die Zukunft. Es heißt nicht: „Wir haben dieses Ziel und wir werden A, B und C machen, um dorthin zu gelangen.“ Stattdessen heißt es: „In 20 Jahren, hätten wir die Stadt gerne so.“ Wenn Sie also in Zukunft eine Entscheidung treffen müssen, sollte sie immer mit dieser Zukunftsvision übereinstimmen. Der Mobilitätsplan setzt Ziele, die ein Gleichgewicht der Transportmittel erreichen sollen. Diese Abwägung umfasst Fußgänger, geteilte Straßen, Fahrradwege und öffentliche Verkehrsmittel in Bezug auf Busse oder Züge. Die traurige Realität ist, dass seit dem Inkrafttreten des Mobilitätsplans im Januar 2016 die Radwege, die umgesetzt wurden, zunehmend politischen Widerstand erfahren.

Warum das?
E. Hernández-López:          Wir nennen das „Straßen-Diät“. Ein Beispiel: Sie haben eine Straße, die für den Autoverkehr gedacht war. Einen Teil davon verwenden Sie nun für einen Fahrradweg. Der Autoverkehr wird umgeleitet oder verlangsamt. Das schafft Opposition. Dieser Widerstand tituliert den Radweg als „Diät“. Als etwas, was Leute nicht machen wollen. Etwas, das von politischen Institutionen erzwungen wird und den Autos den „geschützten Platz“ auf der Straße wegnimmt.

Also sind es Autofahrer/innen, die sich den Radwegen widersetzen?
E. Hernández-López:          Radfahren wird in LA immer noch als Randtransportmittel wahrgenommen. Zum Beispiel gibt es eine Gruppe namens „Fix The City“. Sie repräsentiert Bauunternehmen und Bewohner/innen. Ihr Argument ist, dass Radwege nicht gut sind, da sie den Autos Platz auf den Straßen wegnehmen. Sie glauben, dass Straßen für Autos reserviert sind. Und das ist ja schon seit Jahrzehnten so! Den Radfahrer/innen Raum zu geben, macht für „Fix the City“ keinen Sinn. Sie sind die ersten, die auf Stadtregierungsebene gegen den Radwegebau ankämpfen oder sogar vor Gericht prozessieren. Dann gibt es Leute, die sich beschweren, dass ihr täglicher Pendelweg wegen eines neuen Fahrradweges verschlimmert wird und das obwohl doch niemand Radfahren möchte. Und schließlich gibt es Menschen, die von der Implementierung neuer Radspuren überhaupt nicht betroffen sind, aber zu wissen glauben, wer den Zugang zu öffentlichen Straßen hat und wer nicht.

Es scheint, als ob ein großer Teil des Problems die Mentalität ist?
E. Hernández-López:          Ja, dass trifft wohl zu. Es wird in LA und den USA generell angenommen, dass das Auto das Standardfortbewegungsmittel ist. Autos haben damit auch die einzige Berechtigung sich auf der Straße zu befinden.

Was würdest du diesen Leuten gern sagen?
E. Hernández-López:          Die meisten Menschen in diesem Land gehen davon aus, dass mehr Straßen den Verkehr verringern. Das istfalsch.Daseinzige,dassden Verkehr nachhaltigverringert, ist es, die Anzahl der Autos auf den Straßen zu verringernund mehr Leute dazu zu bringen aufBusse oder Züge umzusteigen. Oder Fahrräder zubenutzen. Odereinfach zugehen. Das schwierigste ist,Leutevonder Nutzung vonRadwegen zu überzeugen. Es kann schließlich niemand bestreiten, dass jemand, der es gewohnt war, vier Fahrspuren auf seinem täglichen Weg zu haben,und nun nur mehr drei zur Verfügung hat – jetzt 5 bis 20 Minuten längerin seinem Auto verbringen mussDas treibt die Leute wirklich in den Wahnsinn!

Kann der Mobilitätsplan die Ansichten der Menschen ändern?
E. Hernández-López:          Der Mobilitätsplan ist weder ein Transportplan noch ein Fahrradplan. Stattdessen wird versucht, die Nutzung von Straßen und dabei auch den Nutzen für die Stadt selbst aus der Sicht von vielen verschiedenen Aspekten auszugleichen. Wenn es nur ein Fahrradplan wäre, hätte
der Mobilitätsplan 2035 nicht die Unterstützung bekommen, die ererhalten hat. Dinge wie Radwege, Verkehrsberuhigung oder Fußgängernetzwerke wurden allesamt in eine größere Visionmit einbezogen – das macht die Zukunftsstadt aus. Das ist für die meisten Bewohner/innen von LA zugänglich.

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Los Angeles ist wie fürs Radfahren gemacht © Travis Yewell / Unsplash

 

Auf welche Weise wirktsich eine Verlagerung auf andere Transportmittel aufdie Stadt und ihre Bürger/innen aus?
E. Hernández-López:          Im Wesentlichen
bedeutet das eine andere Art zu leben. Du legst Fahrradwege an. Du erhöhst Freizeitaktivitäten auf den Straßen. So bekommst du die Leute aus den Autos. Zuerst benutzen all jene, die ohnehin Rad fahren, die Fahrspuren. Dann wird Bike-Sharing plötzlich eine attraktive Option und schon beginnen weitere Menschen, Radwege zu nutzen. Sobald sie mit dem Fahrrad unterwegs sind wird ihnen klar, dass die Strecke, welche im täglichen Autoverkehr 45 bis 70 Minuten dauerte, mit dem Fahrrad in nur 15 Minuten zurücklegbar ist. Vielleicht pendeln sie nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit, aber sie benutzen das Rad um zum Supermarkt zu fahren, Freunde zu besuchen oder in den Park zu fahren. So beginnt der Prozess sich von selbst zu entwickeln.

Mehr Fahrradverkehr würde für die Einwohner/innen von LA also eine Verbesserung der Lebensqualität bedeuten?
E. Hernández-López:          Ja, dass trifft es auf den Punkt. Radfahren ist heute nicht nur für die Radfahrenden, sondern für die kulturellen Aspekte der Stadt von Vorteil: Es hilft Menschen mit ihrer Gemeinschaft, der Umwelt, dem Verkehr und ihrer Gesundheit im Einklang zu sein. Aber es ist mehr als etwas Antagonistisches wie „Auto vs. Fahrrad“. Zum Beispiel hat LA eine große Zahl an Obdachlosen. Mit den Olympischen Spielen 2028 steht der Stadt eine große Veränderung in ihrer Gestaltung und Darstellung bevor. Es ist eine großartige Gelegenheit, die Stadt umzustrukturieren; den ungenutzten Fluss zum Erholen oder Wohnen zu nutzen, Radwege und den öffentlichen Verkehr zu fördern, für mehr Mobilität zu sorgen und bereits Teile der Zukunftsstadt LA zu realisieren.

Kalifornien Los Angeles Radfahren Fahrrad

Mehr Straßen verringern den Verkehr? Ein Irrglaube! © Vital Sinkevich / Unsplash


Sie haben LA mit anderen Städten verglichen, aber bisher war es so das LA immer die negative Seite repräsentierte. Versuchen wir es umgekehrt: Inwieweit können die Bemühungen in LA zur Überwindung von Verkehrsproblemen als Beispiel für andere Städte dienen?

E. Hernández-López:          Viele große Städte im Süden und Westen der USA die nach den 1940er Jahren ihre größten Entwicklungen hatten, sind ähnlich strukturiert wie LA. Die meisten von ihnen sind sehr stark vom Auto abhängig; sie sind extrem weitläufig. Daher sind die Menschen der Überzeugung, dass sie für jede einzelne Fahrt ein Auto brauchen. Die Lehre die man aus dem Mobilitätsplan 2035 zieht ist, dass Städte in den nächsten 20 Jahre auf ein größeres Ziel hinarbeiten müssen. Ein Ziel das sie mit bewussten Entscheidungen erreichen können. So könnten andere Städte sagen: „Das ist unsere Zukunft. Das ist es, was wir vorhaben. Das ist es, was und wie wir sein wollen!“ Das kann Entscheidungen in eine richtige Richtung leiten anstatt zu sagen: „Lass uns hier einen Radweg anlegen. Das ist eine beliebte Route oder das ist eine Straße, die sowieso nicht viel benutzt wird.“

Welche Stadt stellen Sie sich persönlich für das Jahr 2035 vor?
E. Hernández-López:          Im Idealfall würden wir eine große Zunahme von jenen Menschen erreichen, die Fahrräder als tägliches Fortbewegungsmittel nutzen. Dafür brauchen wir durchgehende Radwege, die es den Menschen ermöglichen, irgendwohin und zurück zu kommen. Diese integrierte Sichtweise ist der große Vorteil des Mobilitätsplans. Wenn LA 5 bis 10 Prozent der täglichen Fahrten mit dem Fahrrad erreichen könnte, wäre das eine großartige Leistung. Aber: Das wird anstrengend!

 

Lies‘ den kompletten Artikel von E. Hernández-López über Los Angeles‘ Mobility Plan 2035  hier.

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Tobias Finger ist freier Journalist und Sozialwissenschaftler in Berlin. Wenn er nicht schreibt, kutschiert er Laptop, Kamera und Notizbuch mit dem Rad durch die deutsche Hauptstadt.
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