Das urbane Fahrradmagazin

Bike Citizens Guide to Hamburg

Hamburg, die Perle des Nordens. Die Norddeutsche 1,7 Mio. Metropole und wunderschöne Hansestadt bekennt sich kompromisslos zu ihrem „Beat“. Sie erwacht früh morgens am Fischmarkt und geht spät zu Bett in St. Pauli („der Kiez“). Dazwischen Ebbe und Flut von marineblau gestreiftem Glamour und rotzigem Punk - nordischer Frische an der Alster und heißem Atem auf der Reeperbahn. Hamburg nimmt’s entspannt. „Moin!“ sagt man zu jeder Tageszeit.

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Seit 2017 leitet Karen das Urban Independence Magazin. Die leidenschaftliche Pedalistin hat bereits einige (Welt-)Reisekilometer im Radsattel gesammelt. Heute verbindet sie entweder Faltrad plus Kinderanhänger oder Kompakt-Cargobike mit der Bahn in Berlin und Brandenburg - meist mit ihrer Tochter auf Tour. Ihr Zugang zum Fahrrad(fahren) ist vielschichtig-detailverliebt aber stets pragmatisch und reicht in ihre frühen Jugendtage in Österreich zurück.
Fotos © Christian Baltrusch

Aperitif – (Radfahren in) Hamburg allgemein

Gemütliches Radfahren als Stadtbesucher ist in Hamburg einfach. Liebevoll als „Berge“ bezeichnet liegt die höchste Stelle der Hansestadt auf 161 m, die Harburger Berge. Rücken- und Gegenwind als Begleiter sollte man nicht unterschätzen: Die beiden zwingen so manchen fitten Schenkel in die Knie und können mit jeder Berg- und Tal-Radtour locker konkurrieren. Zuckerl für klassische Tourenradler: Der Deutschen liebster Fernradweg (ADFC: 2016) führt durch die Stadt: Die D-Route 10, oder klingender: Der Elberadweg.

Apropos Elbe: Hamburg ist durchdrungen von Wasser. Kanäle und Flüsse überquert man über mehr Brücken als in Venedig – woran die Hamburger auch immer gern erinnern. Und entlang des Wassers radelt es sich besonders erfrischend.

Community Locations + Aktivitäten

Ein im deutschsprachigen Raum unangefochtenes Vorzeigeprojekt ist der im April 2016 eröffnete Raum für Fahrradkultur im Hamburger Gängeviertel. Das ganze Viertel hat sich in den letzten Jahren zu einem dichten Kunst- und Kulturzentrum entwickelt. Davor durchlebte es eine interessante Metamorphose von Cholera-Kernbrutstätte im Mittelalter zum Verbrecherquartier vor dem ersten Weltkrieg, über Klein-Moskau vor dem zweiten Weltkrieg. Könnte die neue Fahrradinstitution Raum für Fahrradkultur namensgebend für die nächste Epoche des Viertels werden? Wir hoffen!

Denn: Auf fast 90 m² haben äußerst motivierte Leute nach der Idee einer Bike Kitchen einen Ort kreiert, der möglichst niedrigschwellig ein breites Fahrradpublikum erreichen soll. „Wir möchten einen Raum schaffen in dem Spezialisten und Laien sich begegnen und austauschen können, in dem Neues entstehen kann, Altes „umgenutzt“ wird und die Wahrnehmung des Fahrrades gestärkt und als Transportmittel unserer Stadt gefeiert wird.“ so Tim Kaiser, Hauptinitiator des Projektes. Er ist auch Co-Gründer einer der ersten und sehr empfehlenswerten deutschen Fahrradblogs, der Radpropaganda (2006-2016). Weitere treibende Kräfte hinter dem Projekt kennt man als Kollektiv Nonstop Schwitzen – eine Fahrradgang zur ironischen Brechung klassischer Klischees. Tim ergänzt: „Es gibt neben einer fluiden Crew von 20 Leuten ein Kernteam von 5 bis 10 Leuten, alles Ehrenamtliche die an das Projekt glauben.“ Der Raum für Fahrradkultur versteht sich nicht nur als Schrauberbude, Nerdspace, Warnwestentreff, Lobbybase, Kino, Cafe, Bar, Bibliothek, Diskussionsforum sondern genau das ist er auch. Erklärte Ziele: Die Förderung von Fahrradkultur und Fahrradnutzung sowie die Mitgestaltung von Verkehrspolitik und Stadtplanung mit (un-)konventionellen Mitteln.

Radpropaganda

Foto © Tim Kaiser

Familie Fixed Gear trifft sich im Raum für Fahrradkultur zum Warm-Up des Water Kant Crit. Helmuts Fahrradseite, (HSF) eine Hamburger Breitensporttruppe fand hier Raum für ihren Forentreff. Die Hamburger BMX Bicycle Movie Night lädt zum Open-Air-Kino. Zusammen mit Ahrberg Cycling Apparel und der Radpropaganda wird das Crossover-Radsport-Pommes-TV-Event Pommes-Roubaix Hell Yeah zelebriert. Daneben gibt’s eigene Events, ebenfalls „Gang-Übergreifend“: Das Radcafe THE#BRAKE (Mittwoch / 20:00 Uhr). Oder das kollektive Räderschrauben #FAHRRÄDER FIT FÜR DEN SOMMER MACHEN, weitere Formate in Planung.

Was passiert noch in Hamburg? DIY-Freunde bauen ihr Gefährt im Fahrradhafen Hamburg auf oder um. Dazu gibt’s Tipps zu Wartung, Technik, Handling und einen Transportservice per Lastenrad. Initiator Christian Baltrusch, der mit Ralph Gaßner das Projekt neben seinem Brotjob betreut, fasst zusammen: „Wir bieten in Hamburg den einzigartigen Service, bestellte Bikes zu empfangen und bis zum Festziehen der letzten Schraube zu beherbergen – insbesondere Cargobikes. Daneben transportieren wir auch mal große Einkäufe oder Kakaobohnen!“

Christian Baltrusch Bikespresso / Fahrradhafen

Fotos © Christian Baltrusch

Weitere Spots für Radfahrer sind das Cafe Entenwerder. Direkt an der Elbe bietet das Cafe einen idyllischen Stop mit leckeren Speisen, Getränken, Kuchen und for free: Entensticker und Elbromantik! Burger und Bierchen holt man sich bei Most Wanted Burger in Eimsbüttel. Die Hamburger Faltrad-Community trifft sich beim Cafe Wasserkunst Kaltehofe, der ersten Wasserfiltrationsanlage Hamburgs. „Vor der Tür wartet eine lange Reihe Kreuzberger Bügel, dazu gibt’s ne Luftpumpe und Schlauchautomaten!“ schwärmt Miriam, Bloggerin bei Hamburgfiets. Sie ist auch Co-Veranstalterin des Events „Brommieloop“, bei dem auf Falträdern urban und entspannt in der Gruppe getourt wird und der eine oder andere kulinarische oder kulturelle Stopp nicht ausgelassen wird. Freude an der Langstrecke (100 km+) feiern motivierte RadfahrerInnen bei der (unregelmäßigen) Serie Freunde am Fahren. Unter dem Motto „Cycling is not a Sport“ und in gemischten Gruppen geht es mit Host Mathias Ahrberg, vom gleichnamigen Fahrradbekleidungslabel Ahrberg Cycling Apparel vor die Tore der Stadt. Die Hamburger Fixed Gear Ladies vernetzen sich über Facebook: #FixedDeerns. Wer gemischte Gleichgesinnte (oder nur Jungs) auf dem Fixed sucht, dockt bei den Hardbrakers an. Die wissen wo es hin geht.

Foto © Tim Kaiser

Ideal für Alleinreisende und eine unkomplizierte Art die Stadt kennenzulernen ist die monatliche Critical Mass, die sich auch in Hamburg mittlerweile zum Fahrrad-Großevent mit mehr als tausenden von Startern formierte. Eingefleischte Radler und anfängliche CM-Kerngruppenmitglieder bleiben dem Jedermann-Spektakel mittlerweile fern. Die CM ist für sie einfach schon zu groß geworden. Das soll aber niemanden daran hindern, die Demo für eine entspannte Tour durch die Stadt zu nutzen.

 

Fahrradreparatur und Fahrradwerkstätten

Suicycle – die Institution direkt in St.Pauli ist Kult und bleibt trotzdem eine eingeschweißte Fixed/Singlespeed/Trackbike-Gang. Lesenswert ist ihr Blog. Besuchenswert ist der Kandie Shop direkt nebenan – man glaubt, dieser gehört fix dazu. Stops zu Reparatur, Wartung oder einen kurzen Schnack macht man bei Big Lebikeski, Pedalross, dem Fahrradzentrum Hoheluft das den schicken Gazelle Store, The New Cyclist und den größten Brompton Faltradstore Norddeutschlands unter einem Dach vereint. Den Retrofetisch zelebriert man bei LeVELO – dem im Frühjahr 2016 eröffneten Vintage Bike Store mit Cafe in Eppendorf.

Fahrradverleih / Bikesharing

Öffentlicher Fahrradverleih funktioniert in Hamburg mit dem Vorzeigeprojekt: StadtRAD. In der gesamten Stadt verteilt an Stationen finden Radsuchende die roten Stadtkreuzer, die zu CallABike – verwaltet von der Deutschen Bahn – gehören und die höchste Dichte an Leihrädern Deutschlands aufweisen und mit einem nutzerfreundlichen Preismodell punkten: 1 x Einrichtungsgebühr à EUR 5,- bezahlen – diese wird als Fahrtguthaben gutgeschrieben – und die ersten 30 Minuten kostenlos radeln.

Öffentliches Bike Sharing Hamburg App

Privaten Radverleih inklusive Tourenangebot und einem liebenswerten Fahrradcafe mit Reparaturservice bietet die Zweiradperle. Geheimtipp sind die geführten Touren der beiden Ex-Kreuzfahrtschiff-Fahrrad-Guides, die gleichwohl Locals als auch Reisende bezaubern. Urlaub mit Kids, Grillen im Park, Umzug: Ein Lastenrad leiht man sich kostenlos bei Klara oder marschiert zu Ahoi Velo. Der sympathische und gut sortierte Cargobike Store nahe U-Bahnhof Am Schlump hat sich auf solide (E-)Lastenräder und hübsche ausgewählte Accessoires und Magazine spezialisiert. Das junge Team berät gut, wer warten muss bekommt Kaffee vom Fahrradbarista. Ab Sommer 2016 wird man sich auch bei Ahoi Velo Lastenräder ausleihen können.

Eines der wenigen Hotels in Hamburg, das sich unkomplizierte Mobilität per Fahrrad auf die Fahne geschrieben hat ist das 25hours Hotel Hafencity. Das Hotel bietet seinen Gästen kostenlos eine Flotte Pick-Up-Hollandräder. Erwähnenswert ist der 25hours Mare Kiosk, der mit 2-Wheels-Good Pop-Up Store alles bietet, was dem eleganten Radfahrer mit gutem Geschmack gefällt: Accessoires, Literatur, edle Gefährte von Schindelhauer und Colnago, eingetaucht in ein stilvoll-eklektisches Ambiente, alles rund um die Uhr!

Radwegenetz und Radrouten

Radfahren in Hamburg ist generell unkompliziert. Der HVV, der Hamburger Verkehrsverband, bietet eine kostenlose Fahrradmitnahme im ÖPNV. Ausgenommen sind Stoßzeiten von 6:00 – 9:00 Uhr und 16:00 – 18:00 Uhr wochentags. In den Sommerferien sind diese Sperrzeiten aufgehoben. Im Regionalverkehr ist die Fahrradmitnahme möglich aber zahlungspflichtig. Das Radwegenetz der Stadt ist ausgeschildert mit Freizeitrouten, sowie sternförmig aus dem Zentrum verlaufenden Alltagsrouten, die durch zwei Ringrouten verknüpft sind. Die Alltagsrouten, auch bekannt als „Velorouten“ sollen Radfahrer schnell durch Hamburg bringen. Sie werden oft auch als Vorstufe zum Radschnellweg kommuniziert. Freizeitrouten sollen bei gemütlichen Fahrradausflügen den Weg weisen. Die Realität für Fahrradpendler sieht hier anders aus: Viele distanzieren sich von den Alltagsrouten aufgrund ihrer schlechten Beschaffenheit und teilen sich, um voranzukommen, die Straße mit dem motorisierten Verkehr. Das führt wiederum zu Missverständnissen zwischen den beiden Lagern (Anm.: Radwege sind NICHT benutzungspflichtig) und einer hitzigen Stimmung auf den Straßen – insbesondere im Berufsverkehr.

Interessant ist, dass Regelkonformität im Hamburger Straßenverkehr durch ein hohes Maß an direkter sozialer Sanktionierung evoziert wird. Bisher habe ich persönlich noch keine Stadt erlebt (Anm. Alltagsrad-Erfahrungen liegen vor in den Metropolen der USA, Südostasien, Japan und europäischen Ballungszentren darunter London, Berlin, Wien, Hamburg, Barcelona…) in der man durch andere Verkehrsteilnehmer so laut und heftig sanktioniert wird, wie in Hamburg, wenn man zum Beispiel bei einer roten Ampel und keinem Verkehr mit dem Rad rechts abbiegt. Das Paradoxon: Im selben Moment halten enorm viele Verkehrsteilnehmer grundlegende Regeln im Straßenverkehr nicht ein – eine prickelnde Kombination.

Foto © Bike Citizens

Alles in allem

Für eine Reise sollte man Hamburg, bedingt durch Schietwedder zwischen Mai und September aufsuchen sowie ein Fahrrad als Begleitung dabei haben. Mein persönliches Touri-Must-Do: Abfahrt beim Cafe Entenwerder 1 – bei den Deichtorhallen vorbei (Prädikat: Höchst besuchenswert!) gen St. Pauli Landungsbrücken – kurz durch den Alten Elbtunnel auf die andere Seite radeln und das Panorama bewundern (nur Sonntags für Radfahrer geöffnet). Danach geht es mit Ministop im bunten Altona den Radweg direkt an der Elbe entlang. Klassiker Abschluss: Rad absperren und mit Fischbrötchen und Alsterwasser durchs Treppenviertel zum Leuchtturm Blankenese schlendern und dabei über mächtige Frachter staunen, die zum Anfassen nahe an einem vorbei tuckern. Dort gibt’s auch eine Fähre, die einen ins „Alte Land“ bring. Märchentour!

Kurzum: In Hamburg erreicht man auf dem Rad alles in gemütlichen 20-30 Minuten. Nervt das Kopfsteinpflaster, wechselt man auf den Bürgersteig mit gemäßigtem Tempo und einem freundlichem „Moin!“ auf den Lippen – zu jeder Tageszeit!

 

karen Greiderer_squarel
Seit 2017 leitet Karen das Urban Independence Magazin. Die leidenschaftliche Pedalistin hat bereits einige (Welt-)Reisekilometer im Radsattel gesammelt. Heute verbindet sie entweder Faltrad plus Kinderanhänger oder Kompakt-Cargobike mit der Bahn in Berlin und Brandenburg - meist mit ihrer Tochter auf Tour. Ihr Zugang zum Fahrrad(fahren) ist vielschichtig-detailverliebt aber stets pragmatisch und reicht in ihre frühen Jugendtage in Österreich zurück.
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