Wie junge Familien heute reisen: Mit Cargobike und Baby durch die Alpen ans Meer
Radreise im Familiencheck: Kann man ein sechs Monate altes Baby in ein Cargobike setzen und 200 Kilometer in den Urlaub radeln? Ja, man kann! Auf vielen kleinen Etappen mit vielen langen Pausen, Spontanität und Bestechungssnacks für alle. Bike Citizens Geschäftsführerin Elisabeth hat es ausprobiert...
Mit einem Lastenrad plus Trekkingfahrrad radelt die junge Familie mit sechs Monate altem Baby aus Graz (Österreich) rund 200 Kilometer von Tarvis nach Grado ans Meer. Die Strecke ist in drei Etappen zu je 60 Kilometer aufgeteilt und führt über den atemberaubenden Ciclovia Alpe-Adria im Norden Italiens. Nach ein paar entspannten Tagen am Meer geht es auf dem Rad weiter nach Udine und von dort mit der Bahn zurück nach Tarvis – wo das geliehene Auto mit Anhänger für die Heimreise nach Graz wartet…
Warum der Fahrrad-Urlaub so geplant wurde, was die Familie während der Fahrt erlebte und was es sonst noch bei einer Radreise mit einem sechs Monate alten Baby zu beachten gibt, erzählt Bike Citizens Geschäftsführerin Elisabeth.
Motto ohne Kind: „Rauf aufs Rad! Los geht’s!“ Motto mit Kind: „Gut Planen. Spontan bleiben. Wo sind eigentlich die Snacks?“
Trotz, oder gerade wegen unseres Familienzuwachses wollten wir Eltern im Sommer raus aus der Stadt. Wir wollten in die Natur, uns bewegen, neue Orte erkunden und stressfrei genießen. Als fahrradbegeisterte Familie war klar, dass wir unseren Urlaub mit dem Fahrrad machen. Dabei sprang uns der Ciclovia Alpe-Adria-Radweg ins Auge. Er führt durch das nördliche Italien – entlang des Kanaltals und des Flusses Tagliamento. Über Schotter- und Waldwege bringt der Ciclovia Radreisende durch Sonnenblumenfelder und kleine Dörfer bis nach Grado ans Mittelmeer. Das wollten wir machen – natürlich mit unserem sechs Monate alten Baby!
Reiseplanung mit Mottowechsel: Organisation statt Spontanität
In Vor-Babyzeiten hätte unser Motto gelautet „Rauf aufs Rad! Los geht’s. Wir fahren so lange es uns Spaß macht, bleiben dort, wo wir es schön finden und fahren weiter wann wir wollen“. Mit einem sechs Monate alten Baby machten wir uns dann mehr Gedanken. Uns erschien die Planung von Unterkünften und Tagesetappen, die selbst mit vielen Pausen und bei Schlechtwetter machbar waren, als sinnvoll. Möglich war die Radreise dank unseres Cargobikes, das zur Geburt unseres Babies auch in die Familie fand.

Gute Routenplanung ist die halbe Miete, wenn man mit einem Baby reist…

… und Bestechungssnacks! Sonst wird der fahrbare Untersatz vom Baby aufgefuttert. Foto © Elisabeth Felberbauer
Welches Lastenrad ist das Richtige für eine Radreise mit Kleinkind – besonders wenn sich die Eltern über den Zweck des Rades uneins sind?
Ein Fahrrad mit Kofferraum: Das richtige Lastenrad finden
Bereits vor der Geburt war klar: Wir brauchen als Familie jetzt ein Rad mit „Kofferraum“ – möglichst universell einsetzbar und für beide Elternteile komfortabel fahrbar. Unsere Ansprüche waren hoch und ziemlich unterschiedlich.
Ich als Mama wollte ein Lastenrad, mit dem wir unser Kind auch bei Regen trocken transportieren können. Er (der Papa) wollte eines, dass auch Fahrspaß über lange Strecken bietet. Wir waren uns aber auch einig, dass das Rad genug Platz für das Baby bieten und zugleich nicht zu viel Platz auf Radwegen einnehmen sollte. Ebenso kam für uns beide ein Fahrradanhänger nicht in Frage, denn wir wollten unser Kind im Stadtverkehr vor uns im Auge haben und direkt mit ihm kommunizieren.
Unsere Wahl fiel schlussendlich auf ein Larry vs. Harry „Bullitt“ mit Canopy – das ist ein geräumiger Aufbau mit Kindersitz und Regendach. Das Lastenrad ist ein klassisches, einspuriges und sportliches Cargobike vom Typ Long John. Da wir beide ziemlich fit und die Strecken in unserem Alltag nicht besonders lang sind, haben wir uns gegen ein Lastenrad mit E-Motor entschieden.
Zugegeben hatte ich erst Respekt, das Gewicht auf nur zwei Rädern auszubalancieren und durch den langen Radstand die Kurven zu meistern. Tatsächlich braucht es dafür aber nur etwas Übung! Ich gewöhnte mich schnell an den neuen Fahrstil. Die Balance hält sich leicht. Das Rad liegt gut in der Kurve. Und macht uns allen Spaß – auch dem Baby!
Die Logistik
Die größte Herausforderung: Wie transportiert man ein Cargobike von Österreich nach Italien?
Die erste und wohl schwierigste Frage an der Radreise war: Wie kommen wir mit dem Lastenrad von unserer Heimatstadt Graz im Süden Österreichs nach Tarvis im nördlichen Italien? Das Rad passt weder in den Kofferraum noch auf den Fahrradträger. Aber es sollte doch problemlos in einen Zug passen? Fehlanzeige.
Option Bahn: Nicht möglich
Die Österreichische Bahn (ÖBB) transportiert keine Fahrzeuge ab 29 Zoll, Tandems, Liegeräder oder Fahrradanhänger – so die Beförderungsbedingungen im Jahr 2018. Auch wenn ein Cargobike damit nicht explizit ausgeschlossen ist, erklärte uns der Mann hinter dem Informationsschalter, kann dieses Rad nur in speziellen Gepäckabteilen transportiert werden und um Zeitpunkt unserer Reise werden diese Züge nur nach Innsbruck geführt. Auch die Idee das Cargobike per Bahn als Haus-Haus-Gepäck zu verschicken, funktioniert nur mit einer Empfängeradresse. Damit fiel der Zug als Transportmittel aus.
Option Fernbus und Miettransporter: Nicht möglich
Wir prüften andere Möglichkeiten, darunter Fernbusse und Miettransporter. Erstere Option fiel wegen zu langer Fahrtdauer weg, die zweite Möglichkeit wegen zu hoher Kosten. Eine An- und Abreise sollte etwa 600 Euro aufwärts je 200 km kosten.
Option Car-Sharing: Check
Die Lösung war letzten Endes „Car-Sharing“ wobei der Begriff „Autotausch in der Familie“ besser zutrifft. Wir tauschten unser Auto gegen das von meinem Papa mit Anhängerkupplung und kleinem Anhänger. Endlich war der Transport von Österreich nach Italien möglich.
Keine Herausforderung: Wie transportiert man ein Cargobike in Italien?
Wir erkundigten uns mit Händen und Füßen, ob „la nostra bicicletta molto grande“ (unser sehr großes Fahrrad) im Zug mit darf. Die Antwort in Italien war simpel: „È una bicicletta?“ – „Si“ – „Va bene!“ („Es ist Fahrrad?“ „Ja“ „Natürlich!“) Schon saßen wir im Zug. Die Bahnfahrt in Italien von Udine nach Tarvis verlief entspannt.

Ein Cargobike lässt sich nicht so einfach (mit Bus, Bahn und Mietauto) transportieren. Foto © Elisabeth Felberbauer
Expertentipps: Transport von Cargobikes von A nach B
Erst nach unserer Reise stießen wir bei ausgiebiger Recherche auf wissenswerte Informationen in Diskussionsforen wie man mit einem Cargobike und den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein kann. Es hatten also schon mehrere Menschen „unser“ Problem. Eine gute Info-Quelle dazu ist auf Cargobike.jetzt unter Fahrradmitnahme zu finden.
Das Reise-Setup
Parken, Packen, Babyschale
Angekommen in Tarvis, bot der Bahnhof kostenfreie und ausreichend Parkmöglichkeiten fürs Auto. Von dort ist der Einstieg in den Ciclovia Alpe-Adria Radweg nicht weit. Voller Vorfreude bestückten wir die Räder mit unseren wasserdichten Packtaschen für den Gepäckträger. Darin hatte unser Reiseequipment (sehr sparsam gepackt) gerade so Platz. Der sehr umfangreiche Baby-Kram fand auf der Ladefläche des Cargobikes Platz: Windeln, Brei, Feuchttücher, Sonnencreme, Klamotten, Getränke und die Badetasche.
Die meisten Babies werden direkt mit Babyschale in dieser Art von Cargobike verfrachtet. Da das Bullitt, wie auch viele andere Modelle, keine eigene Kinder- und Baby-Sitz-Lösung anbietet, haben wir eine für Fahrradgepäckträger entwickelte Maxi-Cosi-Halterung mit Hilfe von Spanngurten befestigt. Das Baby ist damit gut und sicher verwahrt.
Der Nachteil: Die Ladefläche ist fast voll. Die Lösung ist damit nicht ganz optimal. Die Baby-Schale ist groß und sperrig und inklusive Kind im Laufe der Zeit ganz schön schwer. Durch die Doppelnutzung für Auto und Fahrrad trägt man die Schale immer hin und her. Fahrradanhänger oder Cargobikes mit Baby-Hängematten haben hier einen eindeutigen Gewichts- und Logistikvorteil.

Der „Ciclovia Alpe Adria“ führt durch unzählige Tunnel …

… und vorbei an hohen Bergen zB. in Tagliamento …

… und auf Brücken durch atemberaubende Täler mit kleinen Villaggios …

… bis ans Meer bei Grado. Alle Fotos © Elisabeth Felberbauer
Die Etappen
Etappe 1: 57 km / Stopp and Go von Tarvis bis Moggio di Udinese
Die erste Freude endlich auf dem Rad zu sitzen, wird von Babygeschrei getrübt. Bei allem Komfort: Zwei Stunden Autofahrt mit anschließender Radtour waren zu viel. Unser Plan, nach der halben Strecke eine Pause einzulegen ist hinfällig und wir bleiben bereits auf den ersten Kilometern mehrmals stehen. Erst als sich der Protest im Lastenrad legt, beginnen wir die Fahrt zu genießen.
Durchs Kanaltal fahren wir die alte Pontebbana Bahntrasse entlang, die heute ein idyllischer Radweg ist. Einen atemberaubenden Ausblick auf das darunterliegende Flussbett und Tal bieten die zahlreichen alten Brücken mit Gitterboden, welche die Trassen miteinander verbinden.
Die abwechslungsreiche Landschaft gestaltet die erste Etappe selbst mit Baby und vielen Pausen sehr kurzweilig. Zahlreiche Tunnel kühlen angenehm. Aber Obacht: Die Tunnel sind ganz schön dunkel. Ohne Licht fährt man ins schwarze Nichts!
Unser Etappenziel am Tag 1 enttarnt sich bei der Ankunft als sehr kleiner Ort. In Moggio di Udinese ist Wochentags (zumindest Montag) bis auf ein Restaurant mit sehr mäßiger Küche alles geschlossen. Es lohnt sich 10 Kilometer weiter nach Venzone zu radeln.
Etappe 2: 76 km / Flucht vor dem Regen über Venzone nach Udine
Neuer Tag – neue Herausforderungen: Der Wetterbericht sagt Regen voraus, was spontane Pausen im Freien mit Baby erheblich erschweren. Unser Plan: So schnell wie möglich so viele Kilometer wie möglich Richtung Udine radeln. Wir nutzen die Vormittagsschlafphase unseres kleinen Begleiters, um die Hälfte der Strecke zurückzulegen. Das nimmt den Zeitdruck!
Etappe zwei führt über Schotterwege entlang von Feldern und Wäldern durch kleine italienische Dörfer. Je weiter wir in den Süden kommen, desto besser wird die Beschilderung, vor allem auf den offiziellen Straßen. Dennoch verpassen wir eine Abbiegung und landen prompt auf einer schwerbefahrenen Straße. Obwohl die Lastwägen genügend Abstand halten, fühlen wir uns inmitten der großen Geschosse mit unserem Nachwuchs gar nicht wohl. Glücklicherweise können wir in den nächsten Schotterweg „einsteigen“ und finden über einen kleinen Umweg zurück zum Ciclovia Alpe-Adria-Radweg.
Unser kleiner Begleiter hat sich nun an sein temporäres Zuhause gewöhnt und lässt sich während der Fahrt mit Essen besänftigten. Dennoch ist der Nachmittag gespickt mit Pausen – diesmal sind es wenige, dafür umso längere, um ihm genügend Bewegungsfreiheit zu geben. Schließlich erreichen wir Udine am späten Nachmittag – bei Sonnenschein!
Etappe 3: 57 km / Meeresduft – Grado wir kommen
Am dritten Tag ist bereits alles gut eingespielt. Anders als an den ersten beiden Tagen, läuft diesmal mit dem Baby alles wie am Schnürchen. Er nutzt das Schaukeln im Cargobike für ein zweistündiges Nickerchen am Vormittag und am Nachmittag. Mit diesem Wissen genießen wir eine entspannte ausgedehnte Mittagspause. Auch das Wetter spielt mit!
Etwa 30 Kilometer vor dem Etappenziel Grado – ab Palmanova – führt überwiegend ein asphaltierter Radweg parallel zur Hauptstraße in Richtung Meer. Schlaglöcher und geflickte Straßenstücke erschweren uns die Fahrt und unserem kleinen Begleiter den Nachmittagsschlaf. Nach ganz viel Asphalt riechen wir endlich das Meer – wenig später sehen wir es auch!
Die letzten Meter fahren sich wunderbar: Eine lange Brücke führt übers Meer immer Richtung Grado. Das lässt die Vorfreude auf das kleine Städtchen wachsen. Und den Nachmittag verbringen wir dann endlich am Meer!